Schwere Kost auf Vogelschwingen Empfehlung

  • geschrieben von 
  • Gelesen 616 mal
Schwere Kost auf Vogelschwingen Fotos: Hientzsch

Wer Donnerstagabend in die Augustinuskirche gekommen war, um sich beim EKM-Konzert zum genussvollen Hören entspannt zurücklehnen zu können, musste sich im falschen Film wähnen.

   Unter seinem jungen israelischen Dirigenten Yuval Weinberg servierte das SWR Vokalensemble mit dessen Auswahl an zeitgenössischer hebräischer Chormusik ausgesprochen schwere Kost.

   Die Vertonungen von Psalmen, Versen und Hymnen orientieren sich an modernen Entwicklungen. Zwar scheint immer wieder traditioneller jüdischer Klanghorizont durch. Er ist indes mehr Kosmetik an den höchst anspruchsvollen Werken mit ihrer komplexen Polyphonie und den scharfen Kontrasten.

   Bis das Publikum in der Zugabe eines kurzen Sabbatliedes im reinen Wohlklang baden darf, muss es etliche Wechselbäder aushalten. Nach den vier jiddischen Liedern von Menachem Wiesenberg, der Texte des Dichters und überlebenden des Wilnaer Ghettos, Abraham Sutzkever, in einem aufwühlenden, beklemmenden Duktus mit vertrackten harmonischen Verschränkungen, in denen das Unheil mitschwingt, vertont hat, versichert Yuval Weinberg: „Ab jetzt wird’s leichter. Ich versprech’s Ihnen.“

HIE_2852-1k.jpg

 

   Er löst sein Versprechen auch gleich mit dem Sabbatlied „D’ror Yikra“ (Er wird die Freiheit verkünden) aus der Feder von Yehezkel Braun. Dessen farbige modale Harmonik hatte das Vokalensemble bereits vor der Pause in mehreren Stücken bravourös transparent gemacht. Ohnehin verdient höchste Bewunderung, wie die Sängerinnen und Sänger die hebräische Sprache zur ganz selbstverständlichen Intonation verinnerlicht haben. Kristallklare Unisonosequenzen werden mit polyphoner Farbenpracht gekontert, wird dem Pianissimo Forte-Urgewalt entgegengesetzt. Die Strickmuster der einzelnen Stücke ähneln sich im Kontext zeitgenössischer hochkarätiger Chormusik.

   Statt des im Programm vorgesehenen Stücks „De Profundis“ des Zwölftöners Arnold Schönberg, überwältigt die Altistin Pauline Stöhr die Zuhörerinnen und Zuhörer mit einer herrlichen Soloimprovisation, die in den Sabbat-Hymnus „Tsur Mischelo Achalnu“ von Gil Aldema übergeht. Weitere Stücke fließen unter dem raumgreifenden, schon suggestiven Dirigat Weinbergs, dessen Arme sich wie Vogelschwingen bewegen - mal Albatros, mal Falke - nahtlos ineinander.

   Wenn ein „Halleluja“ erklingt, ist meist ein Programm zu Ende. So auch in der Augustinuskirche, wo das SWR Vokalensemble in Tzvi Avnis „Psalm Canticles“ seine Stimmenpracht nochmals hell strahlen lässt.

 

Wolfgang Nußbaumer

(19.07.2024)      

Nach oben

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.