Musik, die den Nerv der Zeit trifft Empfehlung
- geschrieben von -uss
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„Das war in jeder Hinsicht großartig“. So hat der Oberbürgermeister von Schwäbisch Gmünd, Richard Arnold, nach der deutschen Erstaufführung des Oratoriums „One World“ am Mittwochabend im Heilig-Kreuz-Münster das Werk und dessen Komponisten Sir Karl Jenkins gerühmt.
Dann hat er den 80jährigen Waliser mit dem mit 5000 Euro dotierten Preis der Europäischen Kirchenmusik ausgezeichnet.
Vom einleitenden Tohuwabohu der Erschaffung der Welt bis zum Trost und Hoffnung spendenden Finale sind nur 65 Minuten vergangen. Was Karl Jenkins in diese gute Stunde an musikalischen und textlichen Einfällen hineingepackt hat, um diese „eine Welt“ mit all ihren Sorgen und Nöten, gewalttätigen Auseinandersetzungen und Katastrophen, aber auch visionärer Empathie zu beschreiben, ist sagenhaft.
Entstanden ist das Oratorium im Koronajahr 2020. Nach zwölf Monaten waren alle 14 Sätze fertig. Angestiftet zu diesem Werk hat ihn der Chorleiter Nicol Matt, der seit 2018 mit Jenkins zusammenarbeitet. Ihm kam die Idee, wie er in seiner vom Leiter des Kulturbüros, Ralph Häcker, krankheitshalber verlesenen Laudatio auf den Komponisten verrät, diesen zu fragen, ob er Interesse hätte, ein neues Werk für seinen Chor zu schreiben, „zum Thema Frieden und der Schöpfung einer neuen Welt, in der es weder Kriege noch Ausbeutung noch Menschenfeindlichkeit gibt. In der alle Menschen im Einklang mit der Natur leben und sorgsam mit den Ressourcen der Erde umgehen.“ Bei Karl Jenkins fiel diese Idee auf sehr fruchtbaren Boden.
Seine Musik verbindet Kulturen und Religionen und bezieht Inspirationen aus der Bibel, aus dem hinduistischen Gayatri-Mantra, und aus verschiedenen Dichtungen, wie im Programmheft steht. So geht es sehr abwechslungsreich gleich im erste Satz zur Sache. Auf den „Urknall“ in Form eines atonalen Aufschreis von Chor und Orchester folgt ein Hin und Her, in dem Leben und Licht die Oberhand gewinnen und alles zu sanfter Ruhe kommt.
Harte Dissonanzen und hinreißend eingängige Melodien und harmonische Strukturen prägen das vielfarbige Klangbild des Oratoriums. Gestisch gefordert sind die rund 60 Sängerinnen und Sänger des international besetzten Chores KONEKTO (Verbundenheit) in der aus dem Turmbau zu Babel resultierenden Sprachverwirrung. Das auch akustische Durcheinander wird in der Chorhymne des dritten Satzes im Handumdrehen in sehr geordnete Bahnen gelenkt. Der vierte Satz gewinnt seine instrumentale Köstlichkeit aus dem feinen Gesang der Solovioline über dem Streicherteppich.
Es ist eine echte Freude, dem mal temperamentvollen, mal feierlich-besonnenen Mit- und Gegeneinander des großen Chores und der vorzüglich elastisch musizierenden „Württembergischen Philharmonie Reutlingen“ zu lauschen. Vollkommen wird der Hörgenuss, wenn Anna Schneider in der Vertonung des Gedichts „Song of Man“ von Khalil Gibran im fünften Satz ihren strahlenden Sopran mit packender dramatischer Gestaltung in höchste Höhen aufsteigen lässt. Mit ihrem Mezzo-Sopran hat es die erfahrene Diana Haller von der Stuttgarter Oper nicht leicht, sich gegen die geballte Macht von Chor und Orchester zu behaupten. Dennoch ist die „Wahrheit“ des 9. Satzes ein wesentliches Motto des Oratoriums.
Seinen gut geführten Bariton stellt Jacobo Ochoa im Gospel-Stil des 11. Satzes „Bury me in a free land“ (Begrabt mich in einem freien Land) überzeugend in den Dienst der musikalischen Sache. Mit dem zartsüßen japanischen Volkslied „Sakura“ nistet sich Anne Schneider nachhaltig in den Gehörgängen ein, bevor final und mit von Hoffnung bestimmtem Forte „das goldene Zeitalter von neuem beginnt“. Der Rest ist sehr lang anhaltender Beifall. Und die verdiente Ehrung für „ein vielfältiges musikalisches Werk“. „Seine Musik ist nicht elitär oder akademisch, sondern zugänglich und eingängig“, stellt OB Arnold fest. „Offenbar trifft sie einen Nerv der Zeit.“
Wolfgang Nußbaumer
(18.07.2024)