Die Lust an der Sprache

„Welcome home“. So beginnt und so endet der feinfühlige Roman von Pascal Mercier. London - Triest - London. Dazwischen liegt ein ganzes Leben, das aufgrund einer ärztlichen Fehldiagnose eine abrupte Volte schlägt.
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Stören durch Aufklären

„Selbstjustiz ist die neue Polizei“ hat die AfD-Jugendorganisation in einem Aufruf auf „Facebook“ gepostet. Für den Journalisten Robert Andreasch ein weiterer Beleg für die militante Staatsferne der Organisation.

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Deutschland Bildungswunderland?

Was sind Deutschlands wichtigste Bodenschätze? Von Kretschmann bis Merkel und der früheren Ministerpräsidentin des Saarländles, AKK, herrscht Einverständnis: Bildung und nochmals Bildung. Deshalb investieren Bund und Länder was immer die Staatsfinanzen hergeben in Forschung und Ausbildung. Ein Wunderland. Wäre da nicht die Schwester des Wunders, das Märchen. Mit Kohle ist schon längst keine Kohle mehr zu machen. Ob schwarz oder braun (die Kohle), ihr Abbau kostet nur, muss subventioniert werden, macht Ärger. Die Steinkohle steht tatsächlich vor dem Aus. Wo in Essen einst die Zeche Zollverein das schwarze Gold ans Tageslicht geholt hat, warten heute ein fantastisches Bergbaumuseum und ein wahrlich buntes Designmuseum auf die Besucher. Insofern hat die Bildung dort bereits den ohnehin auf dem Index der Klimaschützer stehenden Bodenschatz ausgestochen. Ähnliches kann man in Bochum mit seinem Schaubergwerk erleben. Tatsächlich blinken da nur einzelne Leuchttürme.

"Bildungsrepublik" in Zahlen

    Die Wirklichkeit sieht anders aus. Elf Jahre sind es her, dass Bund und Länder die „Bildungsrepublik“ ausgerufen haben. Verschiedene ambitionierte Ziele hat man sich gesetzt. Unterm Strich herrscht Ernüchterung. Lediglich die Studienanfänger- und die Weiterbildungsquoten von 40 bis 50 Prozent sind erreicht worden. In Finnland liegt die Abschlussquote für die Mittlere Reife deutlich über 90 Prozent; die meisten Schülerinnen und Schüler lernen weiter bis zum Abitur, das immer noch fast 90 Prozent von ihnen absolvieren. In Deutschland lag diese Quote 2018 im Durchschnitt bei rund 40 Prozent. Spitzenreiter ist der Stadtstaat Hamburg mit 54,8 Prozent; Schlusslicht ist überraschend Bayern mit 32,1 Prozent, während Baden-Württemberg mit 42,4 Prozent immerhin noch Platz 5 belegt. Wie sieht es mit der Forschung aus? Nur ein kleines Schlaglicht: Wer in der Medizin  forscht, speziell in den Grenzbereichen zu anderen Disziplinen, kann es gleich bleiben lassen, wenn er nicht genügend sogenannte "Drittmittel" außerhalb der Uni auftreiben kann. Das heißt, bei Stiftungen anzuklopfen, der Deutschen Forschungsgemeinschaft das Projekt schmackhaft machen, oder die schwerreiche Pharmaindustrie anzubaggern. Letzteres heißt häufig einen Pakt mit dem Beelzebub zu schließen. Denn gefördert wird, was gefällt, also Aussicht auf deutliche Gewinne verspricht. 

 An den Finnen ein Beispiel nehmen   

Bildungsforscher haben errechnet, dass in der Bundesrepublik die Ausgaben für Bildung sogar gesunken sind. Das mag mit der föderalen Struktur und der Kulturhoheit der Länder zu tun haben. Insofern mag ein Vergleich mit den finnischen Verhältnissen etwas hinken. Fakt ist jedoch, dass bei den Nordmännern eine Schulklasse maximal 20 Schüler haben soll. Noch viel wichtiger scheint jedoch das Ansehen und das soziale Prestige zu sein, das die Lehrerinnen und Lehrer dort genießen. Obwohl sie im Vergleich mit Deutschland schlechter bezahlt sind, bewerben sich auf 100 freie Studienplätze seit Jahren rund 1000 Abiturienten. Das sind zehn Prozent des jeweiligen Jahrgangs. Und nicht die schlechtesten. Dem hohen Sozialprestige geschuldet ist auch die Tatsache, dass die Finnen kein Problem haben, Bewerber für die akademische Ausbildung der Erzieherinnen und Erzieher zu finden.

     Hierzulande indes korreliert das Lehrergehalt nicht mit dem Ansehen. Daran trägt die Kultuspolitik ein gerüttelt Maß an Schuld. Nur ein Beispiel: Wer Gymnasiallehrer an Grundschulen einsetzen möchte, weil es dort wegen katastrophaler Planung an Pädagogen fehlt, und – noch schlimmer – Lehrkräfte, die als Feuerwehr fungieren, während der Sommerferien am ausgestreckten Arm verhungern lassen, muss sich nicht wundern, wenn die Guten der Kultusministerin Susanne Eisenmann eine lange Nase zeigen und zum Beispiel in der Schweiz anheuern. Wobei sie für die in der Vergangenheit falsch gestellten Weichen nichts kann.

Die Bildung geht baden

    Das zeitigt fatale Folgen. Kinder sind ein unverzichtbarer Wechsel auf eine gesicherte Zukunft für die Älteren. Nun wird im Musterländle jedoch nur noch an jeder vierten Grundschule Schwimmunterricht erteilt. Weil kein Schwimmbad in zeitlich erreichbarer Nähe ist – und weil qualifizierte Lehrer fehlen. Deshalb ertrinken hier bundesweit am meisten Kinder. Den Eltern die Verantwortung dafür zuzuschieben, dass ihr Nachwuchs schwimmen kann, wie es Eisenmann tut, ist angesichts der traurigen Fakten erbärmlich. 

     Klettert man in der Schulkarriere nach oben bis zum Abitur, stellt man fest, dass sich die Notendurchschnitte zwar verbessert haben. Gleichzeitig beklagen die Hochschulen mangelnde Fähigkeiten zum Beginn eines Grundstudiums. Das Gymnasium versagt in seiner Hauptaufgabe, weil die Anforderungen konsequent nach unten geschraubt werden. Ausnahmen bestätigen die Regel.

     Deutschland Bildungswunderland? Von wegen, im Sumpf von föderaler Hochnäsigkeit und wuchernder Bürokratie treibt es mit seinem wichtigsten Schatz Schindluder. Weiter so im Jahr 2020? Hoffentlich nicht!

Wolfgang Nußbaumer

    

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Weiden – die gepfählte Stadt

Bunte Farben empfangen den Besucher an diesem kalten Novembertag in Weiden. Ein Bild wie Milch und Honig. Eingebettet in eine weite Landschaft, die sich inmitten der Oberpfälzer Alb und des Oberpfälzer Waldes erstreckt. Eine heitere Stadt. Eine heitere Stadt?

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Aus der Gegenwart lernen

In zehn Kapiteln analysiert Sascha Lobo unsere komplexe Gegenwart. Seine zentrale Botschaft: Verharren wir nicht in Schockstarre. Setzen wir uns aktiv und proaktiv mit den Herausforderungen auseinander. Einfache Lösungen gibt es nicht. Doch blicken wir den Themen Digitalisierung und Globalisierung möglichst unvoreingenommen ins Auge. 

Der 44jährige Autor mit der roten Irokesenfrisur, seinem Markenzeichen, fächert seine zehn Lehren mit Humor und Hintergrundrecherche kurzweilig auf. Ein spannendes Sachbuch, das dabei hilft, unsere Gegenwart besser zu verstehen. Manchmal eröffnet er eine neue Perspektive auf die Geschehnisse, manchmal stellt er auch nur Zusammenhänge her. Die kurze Rekapitulation der Gastarbeiteranwerbung mitsamt späterer Rückkehrprämien spiegelt das konzeptionslose Hin und Her der Zuwanderungspolitik wider, die in der Doktrin gipfelte, dass Deutschland kein Einwanderungsland sei. Wie die arabisch-kurdischen Clans aus dem Libanon nach Berlin eingereist sind, liest sich wie eine Kurzfassung einer verfehlten Politik und ihren sichtbar werdenden Konsequenzen.  

Wie verändert künstliche Intelligenz unsere Arbeitswelt? Was können Algorithmen besser als Menschen? Der Mensch konkurriert gegen die Maschine. Ein neues Szenario von Automatisierung tut sich auf. War es zunächst die Machine, die menschliche Handgriffe oder Erfahrungen abgeguckt hat, ist die künstliche Intelligenz um Meilenschritte weiter. Durch die lernende Mustererkennung verbessert sie sich kontinuierlich selbst und ist menschlicher Einzelerfahrung selbst eines Meisters seines Faches weit überlegen. Die künftige Arbeitswelt braucht wenige hochqualifizierte KI-Sprezialisten und eine Heerschar wenig qualifizierter Handlanger. Die Firma Kuka (heute in chinesischer Hand) hat es vorgemacht. Einfache Handgriffe können kostengünstig an Behindertenwerkstätten ausgelagert werden. Was bedeutet Arbeit denn in einer hochtechnologisierten Welt? Für Lobo ist sie „die Suche nach produktiver Erfüllung mit der Mindestanforderung, dabei nicht zu verhungern“. 

Künstliche Intelligenz auf dem Vormarsch

Künstliche Intelligenz ist überall auf dem Vormarsch. Gesichtserkennung, Gangerkennung  - der menschliche Gang ist wie der Fingerabdruck ganz individuell - , das Auftreten von spezifischen Merkmalen an bestimmten Orten wird von der niederländischen Polizei bereits genutzt zur Verbrechensprävention. Prognostik bedeutet um eine Nasenlänge vorne dran zu sein. Amazon nutzt sie, um seine in der Nähe der künftigen Besteller liegenden Warenlager entsprechend aufzufüllen. Daneben spielt die Mathematik mit dem Problem des Handlungsreisenden für die Logistik eine entscheidende Rolle. „In welcher Reihenfolge muss ein Bote die Lieferorte besuchen, damit der Anfangspunkt der Endpunkt ist, kein Punkt zweimal besucht wird und die Strecke möglichst kurz bleibt?“

Die PLATTFORM-Ökonomie entfaltet eine ungeheure Marktmacht. Eine Plattform ist eine digitale Infrastruktur, auf der zwei oder mehr Gruppen interagieren können. Längst hat sich die unwiderstehliche Möglichkeit verselbständigt und entzieht sich dem Zugriff der Ordnungsmacht.  

Regierungen drohen den Monopolen mit dem Instrumentenkasten des 19. Jahrhunderts mit Zerschlagung oder es wird am Symptom herumgedoktert. Die fehlende Regulierung zeigt sich in den Aporien der EU-Steuergesetzgebung. Der Fortschritt der Technik revolutioniert die Gesellschaft. Sascha Lobo macht deutlich, dass Politik und Gesellschaft im 21. Jahrhundert mit den Antworten des 20. Jahrhunderts hoffnungslos unterlegen sind. 

Die Medizin hat unsere DNA entschlüsselt. Nicht nur Individualisierte Medikamente auch gender- und gruppenbezogene sind nötig. Der weiße Mann taugt nicht länger als Prototyp des Menschen. Herausforderungen auf der ganzen Linie, für die es keine einfachen Lösungen gibt. Ohne eine Vielzahl von Daten gibt es keinen Fortschritt in der Medizin. Doch genau das macht uns Angst, nicht vor der Wissenschaft, aber davor dass unsere persönlichen Daten in falsche Hände geraten. Wissen ist Macht - über den Menschen. Bereits heute lassen sich im Netz verfügbare Daten über eine Person ohne deren Zustimmung zur Berechnung der Wahrscheinlichkeit einer psychischen Erkrankung, Alkoholproblemen oder Herzerkrankungen berechnen. Eine Stimmanalyse-Software ist in der Lage vieles über den Gesundheitszustand eines Menschen zu verraten.

Das chinesische Modell 

Am Beispiel Chinas zeigt Lobo eine sich rasant verändernde Welt. Nicht zuletzt ist der Stellenwert des Lernens in der chinesischen Bevölkerung mit ausschlaggebend. Innerhalb weniger Jahrzehnte hat sich das Land aus massenhafter Armut und Hungersnot in eine digitale Wohlstandswelt mit wachsender Mittelschicht, Reichtumsakkumulation, allgemein verbreiteten digitalen Bezahlsystemen selbst in fahrbaren Straßenküchen (!)  und einem freizügigen Umgang mit persönlichen Daten bis zur staatlich überwachten Verhaltenskybernetik-App entwickelt, die unerwünschtes Verhalten sanktioniert. Die deutsche Schufa von 1927 stand hier übrigens Pate. Das chinesische Modell zeigt, wohin auch westliche Demokratien unterwegs sein können, langsamer zwar aber stetig. In China selbst dominiert eine uneingeschränkte Fortschrittsgläubigkeit. Das Vertrauen auf die Unbestechlichkeit der Zahlen überwiegt und lässt auf ein gerechtes System hoffen. 

Gegen den chinesischen Geschmack setzt kein Entwickler nirgends auf der Welt ein Produkt durch. Am chinesischen Massenmarkt vorbei, ist dies nicht lukrativ. 

Eine Neubewertung der Software gegenüber der Hardware hat sich in unserer digitalisierten Welt durchgesetzt. Das zeigt ein einfaches Beispiel.  Der Fotoapparat wird von der Foto-App ersetzt. Alles dreht sich um digitale Beziehungen. Daten bekommen Marktwert. Sie werden gekauft oder gehackt. Der unüberschaubaren Vielfalt der Produktangebote gegenüber ist eine rationale Kaufentscheidung überfordert. Das Bauchgefühl entscheidet. Der Markt, insbesondere der digitale Markt wird emotional aufgeladen. Drei Kriterien sind wichtig: Begeisterung, Ungeduld und Bequemlichkeit. 

Wichtige Kriterien

Begeisterung: Die Aufräumtrainerin Marie Kondo stellt nur eine Frage; „Begeistert Dich der Gegenstand?“ Wenn nicht, kann er weg. 

Ungeduld / Eile: Eine Frage stellt sich. Die Antwort wird sofort gegoogelt. Ein Melodiefetzen oder ein Musiktitel taucht auf.Der Song wird auf You-Tube unmittelbar gehört. Ein Klick weiter und der Artikel ist gekauft. Datenströme in Echtzeit zeigen den Trend an. Wichtig ist weniger der aktuell gemessene Wert z. B. der Fieberkurve oder des Blutzuckerspiegels, sondern deren Auf- oder Abwärtsverlauf. 

Bequemlichkeit: Der Erfolg der Produkte ist dann gegeben, wenn sie das Leben vereinfachen. Eine selbsterklärende Benutzeroberfläche ist entscheidend für Kauf und Nutzerfreude. Selbst der aufgeklärte Nutzer, der verhindern will, dass seine persönlichen Daten ohne Not über seine Geräte übermittelt und ausgewertet werden, gibt irgendwann auf und kapituliert vor den Voreinstellungen.  Wer über die Voreinstellungen eines technischen Produktes entscheidet, gewinnt Macht und erhält Informationen über Nutzergewohnheiten. „Nudging“, ein kleiner Anstoß wird der Versuch genannt, erwünschtes Verhalten zu generieren. 

Drei bedrohliche Szenarien beunruhigen in unterschiedlichem Maße die öffentlichen Meinung. Das Klima und dessen rasante irreversible Veränderung, die Umwelt und gravierende die Lebensgrundlage zerstörende Verschmutzung durch Plastik in den Meeren und Kontaminieren der Böden, die industrielle nicht artgerechte Massentierhaltung und nicht zuletzt die Migration, deren Routen durch digitale Information  ständig aktualisiert werden. 

Hoffnungsvoll dagegen stimmt Lobo eine informierte Jugend, die lautstark und beharrlich eine lethargische Politik und gleichgültige Öffentlichkeit auf die sich abzeichnende Katastrophe aufmerksam macht. Die auch bereit ist, ihr Verhalten zu ändern.

Lobo zeigt auf, daß die Öffentlichkeit fast immer falsch einschätze, was digital möglich ist und was nicht, wo in Zukunft Bedrohungen lauern und wo nicht. Das führe leider auch politisch häufig dazu, dass Phantome bekämpft werden, während schwierige, ambivalente oder gefährliche reale Entwicklungen kaum beachtet würden. 

Eine lohnende Lektüre auf 320 Seiten mit vielen eingängigen Beispielen und Vergleichen.

Kiepenheuer & Witsch 22 €.

 

Helga Widmaier

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Kein Sprung ins Leere

2019 ist ein Jubiläumsjahr. Besonders rund für alles, was vor 50 Jahren geschehen ist. 1969 haben die „Beatles“ mit ihrem elften Studioalbum „Abbey Road“ das Ende der „Fab Four“ eingeläutet. Von nun werden sie getrennte Wege gehen.

   „Keiner wagt ihn – den Sprung ins Leere. Wir alle wagen nur den ins Fastleere. Jeder lebt für sich und betreibt seine eigene Philosophie, getragen von Unfreiheit.“ So beginnt der aus heutiger Sicht argumentativ recht einfach und larmoyant gestrickte Text zu der 1969 unter dem Label der 1971 eingestellten hippen Zeitschrift „twen“ erschienenen LP „Off 2 Hallucinations“. Mit dem Untertitel „Psychedelic Underground“ beschwört sie die befreiende Wirkung der „Psychomusic“ als weitaus weniger schädlichen Ersatz für psychotoxische Substanzen wie LSD, die einen in einen „Freiheitstraum“ entführen (können). Zum Einsatz kommen Bands wie „MC 5“, „The Holy Modal Rounders“, „Rhinoceros“, „Earth Opera“, „The Incredible String Band“ und „The Doors“, um nur einige zu nennen.

   Ebenfalls 1969 treten im Flecken White Lake im Bundesstaat New York 70 Kilometer südwestlich von Woodstock vor geschätzten 400.000 entspannten Fans 32 Bands und Sängerinnen und Sänger auf. Sex and Drugs and Rock ’n‘ Roll und eine Menge anderer Musikstile zeigen überzeugend Wirkung. Im fernen Vietnam hat ein Jahr zuvor Amerikas Army durch das Massaker von My Lai nicht nur das Gesicht sondern letztlich auch den Krieg gegen den kommunistischen Norden verloren. Vor diesem düsteren Hintergrund gilt das Festival auch als eine riesige friedliche Demonstration gegen diesen Krieg, der die Nation spaltet.

   Dass es in Woodstock stattgefunden hat, liegt an Bob Dylan. „His Bobness“ hatte bei dem kleinen Ort einen Motorradunfall und blieb dort gleich zur Regeneration. Das ideale Zugpferd für ein großes Festival denkt sich ein Veranstalter, klopft bei dem vom Folk- zum Rockstar mutierten Poeten an – und holt sich eine barsche Abfuhr. Einer der wie in „Playboys and Playgirls“ gegen „wahnsinnige Kriegstreiberparolen“, „Kommunistenjäger“ und „Rassenhetzer“ ansingt, den muss doch so eine Kulisse magnetisch anziehen, mag er überlegt haben. Falsch gedacht. Als das Mammutkonzert beginnt, hat sich Dylan schon längst vom Acker gemacht. Dieser Mann lässt sich nicht instrumentalisieren.

   50 Jahre sind seitdem vergangen. Welche Musik hat mich in diesen fünf Jahrzehnten begleitet? Vom Cover einer meiner ersten Langspielplatten blickt mich der junge Bob Dylan mit prüfender Skepsis an, „Highway 61 Revisited“. An dieser Straße, an der auch sein Geburtsort Duluth liegt, haben einige der größten Blues-Legenden gelebt. Einige davon sind ebenfalls in meiner Plattensammlung gelandet. „Like a Rolling Stone“, einer der großen Hits dieser Scheibe, führt einen zwangsläufig zu den „Rolling Stones“. Zuvor stehen die Pilzköpfe aus Liverpool auf der Liste meiner musikalischen Begehrlichkeiten. Mit der „ungehobelten“ Jagger-Truppe werde ich mich erst Jahre später anfreunden, dann aber dauerhaft.

   Vor 50 Jahren ist „Easy Rider“ in die Kinos gekommen. Peter Fonda und Denis Hopper machen als Wyatt und Billy auf ihren Harleys mit dem Kokain-Schmuggel ein wenig Kohle, bis die beiden von den „bodenständigen“ Insassen eines Pickups, denen die Langhaarigen zuwider sind, über den Haufen geschossen werden. Der Soundtrack zu dem Film ist legendär. „Steppenwolf“, „The Byrds“, „The Jimi Hendrix Experience“, „Fraternity of Man“, „The Electric Prunes“, „Smith“, Roger McGuinn und „The Holy Modal Rounders“ treffen sich auf der LP wieder. Das glatte Gegenteil dazu begegnet mir mit dem Trio „Taste“. Den Iren scheint mit ihrem kantigen Bluesrock die Zukunft zu gehören – bis Rory Gallagher im September 1970 aussteigt. „Suzanne“ und „Marianne“ versüßen die Zeit zwischen Tag und Traum - Leonard Cohen sei Dank. Mit dem symphonisch beginnenden „April“ sind „Deep Purple“ bis heute treue Weggefährten. „Pink Floyd“, „Crosby, Stills, Nash & Young“, Alexis Korner, Eric Clapton, Bruce Springsteen, Mark Knopfler mit seinen „Dire Straits“, „Blood, Sweat & Tears“ und viele andere sind dazugekommen.

    Selbst welche aus dem „Ländle“. 1972 gründen Uwe Karpa und Matthias Ulmer in Stuttgart ein Quartett geeignet, das mit seinem „Progressive Rock“ auf der Ostalb Stammgast gewesen ist - „Anyone’s Daughter“.  1986 löst sich die Band auf; zur Jahrtausendwende kommt’s zu einer Wiedervereinigung. 2018 erscheint die Platte „Living the Future“. Immer noch dabei mit Keyboard und Stimme: Matthias Ulmer.

   Zum Schluss blicke  ich nochmals weit in die Vergangenheit zurück. Zu einem Doppelalbum mit echt stylischem Cover. Aufgenommen wurde es „am Totensonntag anno 1977 zwischen 8.45 Uhr morgens und 3 Uhr in der Nacht bei Scheune-Records in (D-7081) Westhausen“. „Mohren Skiffle“ nannte sich diese erlesene Truppe aus Aalen, die Ohrwürmer wie „Franz war Japanese“, „Fußpilz“, „Blue Ridge Mountains“ und andere Traditionals in Rillen gepresst hat. Die Besetzung liest sich als ein „Who is Who“ der damaligen Musikszene der Kreisstadt: Dimitrij Tramba (Geige, Gitarre, Banjo), Gabi Hailer (Geige, Flöte, Mandoline, Gesang, Glockenspiel), Ernst Hehr (Geige, Gitarre, Banjo, Mandoline, Glockenspiel, Gesang), Jürgen „Buddha“ Ziegelbauer (Gitarre, 5-String-Banjo, Gesang), Wolfgang „Yogi“ Pösselt (Washboard, Percussion, Gesang, Geräusche), Ray „Gondel“ Contrael (T-Bass, Gitarre, Spoons, Gesang, Geräusche). – Im Blick auf die eingangs angestimmte Klage, dass keiner den Sprung ins Leere wage, also den Mut zum Risiko zeige, das Freiheit mit sich bringt, bleibt mir nur noch, die „Mohren Skiffle“ mit diesem Prädikat zu würdigen: Weniger Leere war nie!

Wolfgang Nußbaumer 

        

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Der Mann hat den Bogen 'raus

Vor der Bücherwand im Wohnzimmer liegt ein Bogen - zum Schießen, nicht zum Geige spielen. Josef Lehmann spielt Gitarre und Akkordeon. „So a bissle“, meint der hoch gewachsene Mann bescheiden.

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