Aufgeben ist keine Option Empfehlung
- geschrieben von -uss
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In Steven Spielbergs in Schwarzweiß gedrehtem Film „Schindlers Liste“ taucht als einziger Farbtupfer ein kleines Mädchen im roten Mantel auf.
Das Kind hat den Holocaust überlebt und lebt heute als Malerin und Autorin in München und Krakau. Wollte der Regisseur damit ein leises Zeichen der Hoffnung setzen?
Im Werk der aus Schwäbisch Gmünd stammenden Malerin und Bildhauerin Regina Baumhauer spielen kleine Zeichen ebenfalls eine große Rolle. Wie das kleine orangefarbene Dreieck im „Open Letter, Little Miss Liberty Crossing the Delaware #1“ (2014). Es könnte eine Anspielung auf George Washington im von patriotischem Pathos geprägten Gemälde „Washington Crossing the Delaware“ des aus der Stauferstadt in die USA ausgewanderten Künstlers Emanuel Leutze sein. Eine sehr unheldische Anspielung. Regina Baumhauer ist selbst eine „Little Miss Liberty“, die sich im Delaware des Lebens behauptet.
Insofern verrät dieser „Open Letter“ wie etliche andere ebenfalls viel über dessen Absenderin. Auf erwähntem Bild sehen wir eine Rückenansicht aus einem weißen Quadrat auftauchen, das wie ein Fenster wirkt. Das schwarze Gebilde auf dem Kopf, dessen Haar in einem langen Zopf gezähmt ist, könnte eine Haube sein – oder die fünf Krallenfinger einer Hand, die als Alp auf ihm lastet.
Ambivalenz durchzieht das vielfältige Schaffen der seit vielen Jahren mit ihrer Familie in New York lebenden Künstlerin ebenso wie eine feine Selbstironie. Früher hat sie noch unbekümmert „genmanipuliert“ und der Freiheitsstatue einen Schweinskopf aufgesetzt – und umgekehrt. Über 20 Jahre später holt die Wirklichkeit der Karikatur dieses spöttische Spiel mit Schein und Sein ein. Diese zeigt in der „Südwest Presse“ vom Montag, 10. Oktober 2016, wie ein Männchen, das man unschwer als den republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump identifizieren kann, die Freiheitsstatue hinaufklettert und ihr in den Schoß grabscht. Ein Trump ist tatsächlich nach 9/11 noch möglich. Und wie wir inzwischen schaudernd wissen, sogar als Präsident.
Mehr als Grund genug für eine „Little Miss Liberty“ wie die zarte Frau mit dem großen Kämpferherzen, Regina Baumhauer, die Hände erst recht nicht in den Schoß zu legen, sondern den Gefährdungen, den Bedrohungen, den Unsicherheiten, der Brüchigkeit von Existenz, auch der eigenen, bildhaften Ausdruck zu verleihen – und gleichzeitig die Fahne der Freiheit unbeirrt hoch und den Funken Hoffnung am Glühen zu halten. In Gemälde und Zeichnung (wie in ihrem fesselnden „Diary“-Zyklus), in Opulenz und Reduktion, in der ihre Bilderzählungen metaphorisch verrätselnden Kombination von Figuration und Abstraktion – und in einem atemberaubend grimmigen Humor. In einem „Open Letter“ von 2015 gibt sie einen sch(m)erzhaften Einblick in das „Neurofeedback“ ihrer „Miss Liberty“.
Ja, Aufgeben ist keine Option, weder für Regina Baumhauer noch ihr alter ego „Miss Liberty“. „Dafür schätze ich dich ganz besonders“, hat die Journalistin und Medienpädagogin Judith Reicherzer in einer Vernissagerede bekannt. Wir alle, denen diese kleine große Frau und ihre Kunst Herzenssache ist, schätzen sie dafür. Und wessen Herz nicht höher schlägt, wem nicht ab und zu Tränen in die Augen steigen, wenn er sich auf die von Museumsleiterin Dr. Monika Boosen und ihrem Team kongenial präsentierte Werkschau einlässt, der oder die haben erst gar nicht versucht, das Wagnis der Flussüberquerung auf sich zu nehmen.
Hommage an einen Tapferen
Am 1. April 1945 verliert sich die Spur des Gmünder Künstlers und Antifaschisten Gerhard Feuerle in den letzten Zuckungen Nazideutschlands. „Den muss man heimholen“ hat Regina Baumhauer beschlossen. Vor wenigen Wochen ist der Freund der „Weißen Rose“ in seine Heimatstadt zurückgekehrt. Als eindrückliches Abbild. Von keinem geringerem als der Deutschen Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe hat sie dafür die Handlungsanleitung. Dieser hat gesagt, wie sie in einem Interview mit einem Mitarbeiter des Deutschen Hauses in New York zitiert, „man sieht nur, was man kennt“.
Von Bildern wissen wir, dass sie Jahrhunderte überdauern können – sofern sie exemplarisch gut sind. Dann gewinnen sie nicht nur durch ihre ästhetische Kraft sondern auch durch die Botschaft, die sie Briefen gleich transportieren. Wie Regina Baumhauers Feuerle-Bild. Diese zerbrechliche Frau mit dem klassisch schönen Gesicht, die ein Windhauch umblasen könnte, überrascht in Begegnung und Schaffen mit einer Intensität, die nur durch Leidenschaft zu erklären ist. Ihr Thema ist die Freiheit im Geiste Schillers. Es erwächst aus einem Leitmotiv, das die Theologieprofessorin Dr. Clare K. Rothschild in dem zur Bildübergabe erschienenen Buch „Die Weiße Rose In Memoriam Presente 1942/43 – 2017/18“ nennt: „Die Überzeugung nämlich, dass das menschliche Erinnern die Wiederholung eines geschichtlichen Kreislaufes unterbrechen könnte.“
Das Bild „Open Letter – FRAMED – Die Weiße Rose für Gerhard Feuerle“ gehört zu einem Zyklus von Gemälden, die Regina Baumhauer den Mitgliedern der Widerstandsgruppe an der Uni München gewidmet hat. Zwar war der junge Mann aus der Stauferstadt nicht an den Flugblattaktionen der Gruppe beteiligt, verfolgt bis in den Tod wurde er gleichwohl, wie die Leiterin des Museums im Prediger, Dr. Monika Boosen, schildert. Als Soldat an der Ostfront verwundet, wurde ihm für die Zeit der Genesung ein Studiensemester in München genehmigt. Dort kam er in Kontakt mit dem Umkreis der „Weißen Rose“, wurde nach der Hinrichtung der Geschwister Scholl und von Christoph Probst Ende Februar 1943 ebenfalls verhaftet, wieder freigelassen – und zwei Monate später wieder an die Ostfront geschickt. Dort ist er Anfang Juni wieder verhaftet und eingekerkert worden. Bei einem angeblichen Fluchtversuch schwer verwundet, landete er schließlich im Gefängnis Moabit in Berlin, wo er zum Tode verurteilt wurde. Auf Bitten und Flehen seiner Familie wurde das Urteil zwar nicht vollstreckt – der folgende Dienst (ohne Stahlhelm) in einem SS-Strafbataillon war mit zwei Kopfverletzungen jedoch nichts anderes als ein Tod auf Raten.
Wie sich die Lebensspur Feuerles im Dunkel der Geschichte verliert, so hat die Malerin dessen Züge im durch einen giftig grünen Rahmen begrenzten diffusen Dunkel versinken lassen. Man spürt jedoch seinen Blick wie aus der Ferne – als Mahnung für die Gegenwart. Weiße Rosen rieseln über den wässrigblauen Acrylgrund herab wie einst die Flugblätter in München. Besser kann man keine Metapher für dieses widerständige Verhalten finden.
Regina Baumhauer hebt indes nicht nur in der Vergangenheit verfolgte und unterdrückte Menschen in ihren Bildern ins Bewusstsein. Ganz aktuell erinnert sie an den russischen Regisseur und Theatermacher Kirill Serebrennikov, den das Putin-Regime mit einem Hausarrest daran gehindert hat, seine Inszenierung von Engelbert Humperdincks Märchenoper „Hänsel und Gretel“ vor Ort umzusetzen. Selbst zur Premiere an der Stuttgarter Staatsoper durfte er nicht kommen. Dafür erscheint sein Name jetzt im Kontext eines neuen Werkes von Regina Baumhauer: „Open Letter, Feuerle im Zauberwald“.
Im oben erwähnten Interview löst sie das Rätsel auf: Ähnlichkeiten zwischen ihm und der Weißen Rose sieht sie zum einen darin, dass sowohl die Mitglieder der Widerstandsgruppe als auch der russsische Künstler einen kritischen, jedoch gewaltlosen Blick auf die Welt hatten. Die Personen, die in den gemalten Rahmen („frames“) auf ihren Bildern erschienen, seien tatsächlich in dem Sinne eingesperrt („framed“), als sie sich „schuldig“ gemacht hätten. „Sie alle mussten für ihre Aktionen bezahlen.“ Gleichzeitig werden sie durch diese Rahmen im Nebel des Vergessens geortet. Das Werk ist in einer unter der Überschrift „Open Letters & Liberty Under Attack“ stehenden Werkschau der Künstlerin bis Ende Februar 2018 im Deutschen Haus in New York zu sehen.
Wolfgang Nußbaumer