Böser Sandmann – guter Wilson

Böser Sandmann – guter Wilson Foto: Düsseldorfer Schauspielhaus/Lucie Jansch

Wenn einem Robert Wilson Sand in die Augen streut, beginnt man zu sehen.

Seine Adaption von E. T. A. Hoffmanns traumatischer Erzählung „Der Sandmann“ am Düsseldorfer Schauspielhaus zeigt den Lichtkünstler auf der Höhe seines Schaffens.

     Der Augenmensch Wilson hat mit dem „Sandmann“ den ihm adäquaten Stoff gefunden. Diese Figur hat rein gar nichts mit dem lieben Sandmännchen zu tun, das im Fernsehen die Kleinen ins Bett schickt. Ein Bösewicht, der unfolgsamen Kindern Sand in die Augen wirft, bis diese blutig aus dem Kopf hervortreten. Der kleine Nathanael beobachtet heimlich alchemistische Experimente seines Vaters und des Advokaten Coppelius. Dieser droht ihm deshalb, die Augen herauszureißen und misshandelt ihn noch.

   Als das Kind sich dann noch am Unfalltod seines Vaters mitschuldig fühlt, wird es traumatisiert. Sein Denken kreist nur noch um das menschliche Auge. Erwachsen geworden, verfällt er der kühlen Schönheit der mechanischen Puppe Olimpia – und dem Wahnsinn, als er sie als Maschine erkennt. Für seine Verlobte Clara hat er keine Augen mehr. Verfolgt und gepeinigt von seinen Träumen und Visionen  stürzt er sich in den Tod. So viel zu Obsessionen und ihren Folgen. Wilson indes singt das Hohe Lied der Obsession, ohne die wahre Kunst nicht möglich ist.       

    Dinglich gemacht wird diese Besessenheit durch die Maschinenfrau und die über die Bühne kullernden Augen. Kühl, schön und perfekt grotesk wie diese Puppe mit dem Aufziehschlüssel im Rücken ist auch Wilsons Inszenierung. Sein Personal mit den durch die weiß geschminkten Gesichter noch hervorgehobenen Augen ist nichts anderes als der menschliche Wiedergänger des Apparates. Entsprechend mechanisch bewegen sich die Protagonisten – wie Marionetten. Das schafft ironische Distanz, die durch die perfekte Ästhetik des Licht-Spiels noch verstärkt wird. Ob Nathanael (Christian Friedel), der Wetterglashändler Coppola und der Advokat Coppelius (Andreas Grothgar in der Doppelrolle), der Physikprofessor Spalanzani (Konstantin Lindhorst) und seine mechanische Tochter Olimpia (Yi-An Chen) bis zum Sandmann (André Kaczmarzyk als böser bei Wilson im Wortsinne deus ex machina) – um nur einige aus der bravourös irr-lichternden Truppe zu erwähnen.

       Mit diesen stilisierten Gestalten korrespondieren an roboterhafte Saurier erinnernde Geräte, die vor dem Hintergrund des diffusen Lichts harte Kontur gewinnen und die kühne, abgründig schöne Geometrie von Leuchtstäben. Dazu wetterleuchtet kommentierend und apostrophierend ein Orchester im punktgenauen Sounddesign (Frank Schulte).

      Unbeschreiblich einzigartig dieser „Sandmann“. Dauernd möchte man sich die Augen und Ohren reiben,  weil man kaum fassen kann, was man sieht und hört. Dass man nur schwer an Karten kommt, versteht man nach diesem Faszinosum. Versuchen kann man es trotzdem unter Tel. 0211/85230 und www.duesseldorfer-schauspielhaus.de 

Wolfgang Nußbaumer

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