Vespa meets Schwalbe - West trifft Ost Empfehlung
- geschrieben von -uss
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„Ich liebe Autos“, bekennt Stefan Rohrer, „aber sie bleiben bei mir einfach nicht ganz.“
Der Stuttgarter Künstler zerlegt Autokarosserien, Motorroller und Modellautos. Die zerteilten Formen streckt, staucht und dreht, verlängert, verschraubt und verschweißt er. Neu kombiniert, entstehen dynamisch bewegte, popfarben lackierte und auf Hochglanz polierte Skulpturen – wie der „Roller Coaster“ (zu Deutsch: „Achterbahn“). In der über sieben Meter langen, raumgreifenden Skulptur sind die Teile einer „Vespa“ und ihres DDR-Pendants, einer „Schwalbe“, verschweißt und in Schleifen und Schwüngen gedehnt – eine sinnliche Allegorie auf die Wiedervereinigung von Ost und West. Titelgebend ist der „Roller Coaster“ nun für eine Ausstellung bis 10. September in der Galerie im Prediger in Schwäbisch Gmünd. Einen Schwerpunkt der in Kooperation mit der Galerie Scheffel, Bad Homburg v.d.H., entstandenen Schau bilden sieben Boden- und Wandarbeiten Stefan Rohrers der letzten sieben Jahre, darunter eigens für die Ausstellung entstandene, noch nie gezeigte Werke. Zu den plastischen Arbeiten kommen Zeichnungen, die im Schaffen des Bildhauers eine eigenständige Werkgruppe bilden.
Spannungsreich verknüpft: Realität und Fantasie
Das Automobil ist das wohl wichtigste Kulturgut des 20. Jahrhunderts und fester Bestanteil unserer modernen Gesellschaft. Freiheit, Unabhängigkeit und Mobilität sind Attribute, die unsere Einstellung zum Automobil, trotz aller widrigen Begleitumstände, noch immer leiten. Gleichwohl ist das Auto keineswegs nur ein rationaler oder technologischer Gegenstand, sondern eine quasi-natürliche, lebensweltliche Umgebungstatsache, dessen Bedeutung weit über seinen Gebrauchswert hinausgeht: es ist ein moderner Mythos, eine Ikone der Konsumgesellschaft, ja gar ein Fetisch und beflügelte von Beginn an auch das Themenrepertoire der Kunst.
Ausstellungsansicht „Stefan Rohrer. Roller Coaster“, im Vordergrund: Roller Coaster, 2009, Motorräder, Stahl, Lack, 80 × 140 × 720 cm. Courtesy Galerie Scheffel, Bad Homburg v. d. H.
Stefan Rohrer weiß um die Emotionen, die das Automobil zu wecken vermag und spielt gleichzeitig mit ihnen auf originelle Weise. Von Jugend an ein Autonarr, verwendet er Autokarosserien, Motorroller und Modellautos für seine Skulpturen und Objekte, mit denen er in der zeitgenössischen Bildhauerei eine ebenso eigenständige wie unverwechselbare Position bezieht. Mit größter handwerklicher Finesse nimmt er das Ausgangsmaterial auseinander, verlängert, verdreht, kombiniert und montiert es zu dynamischen Gebilden, die ihre Herkunft zwar erkennen lassen, im Prozess der schöpferischen Umgestaltung aber in den Bereich der Fantastik transformiert werden. Mal elegant geschwungen, mal in wilden Loopings greifen die Objekte in den Raum aus, heben gleichsam ab und geraten aus der Bahn. Finden und Erfinden, Vertrautes und Fremdes greifen ineinander. Realität und Fantasie finden spannungsreich zusammen.
Dreidimensionale Comiczeichnungen
Mit hintergründigem Humor visualisiert Stefan Rohrer in seinen Arbeiten den Rausch automobiler Geschwindigkeit und die Ambivalenz von Faszination und Ablehnung des Autokults. Er versteht seine Skulpturen als „dreidimensionale Comiczeichnungen“, die Spielraum für Geschichten bieten, die „tragikomisch“ sind, die lustig und fröhlich sein, aber auch tragisch ausgehen können. Für den Künstler ist genau eine solche Ambivalenz und Dualität entscheidend: „Meine Arbeiten vereinen Bewegung und Erstarrung, Realität und Täuschung, Spiel und Ernst“, sagt er. Rausch, Angst und Zerstörung einerseits, sowie die Schönheit und Eleganz der Formen und der Oberflächen andererseits – beides verbindet sich im Werk von Stefan Rohrer zu Abgründigkeit, Absurdem und Witz.
Biografie
In der Kunstwelt ist Stefan Rohrer kein Unbekannter. Geboren 1968 in Göppingen, lebt und arbeitet er heute in Stuttgart. Nach einer Ausbildung zum Steinmetzmeister studierte er zunächst Bildhauerei an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein, Halle/Saale (1998-99), dann an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart bei Werner Pokorny und Micha Ullman (1990-2004) sowie bei Udo Koch (2004-2006). Zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen im In- und Ausland sowie Stipendien und Preise begleiten seine Vita, zuletzt 2015 ein Stipendium der ZF Kunststiftung, Friedrichshafen, und der Lothar-Fischer-Preis, den die Lothar & Christel Fischer Stiftung in Zusammenarbeit mit der Stadt Neumarkt in zweijährigem Turnus verleiht. Darüber hinaus haben mehrere Skulpturen dauerhaft Aufstellung im öffentlichen Raum gefunden.
Öffnungszeiten
Di, Mi, Fr 14-17, Do 14-19, Sa, So, Feiertage 11-17 Uhr. Montags geschlossen.
Begleitprogramm
Künstlergespräch: Donnerstag, 7. September, 18 Uhr