Fast hört die Liebe nimmer auf Empfehlung

Verlierer unter sich (v.l.n.r.): der verzweifelte Kasimir (Peer Oscar Musinowski), Karoline auf der geborstenen Achterbahn des Lebens (Manja Kuhl), Erna, die sich einen Hauch von Würde bewahrt (Sandra Gerling) und Der Merkl Franz, Macho pur (Felix Mühlen). Verlierer unter sich (v.l.n.r.): der verzweifelte Kasimir (Peer Oscar Musinowski), Karoline auf der geborstenen Achterbahn des Lebens (Manja Kuhl), Erna, die sich einen Hauch von Würde bewahrt (Sandra Gerling) und Der Merkl Franz, Macho pur (Felix Mühlen). Foto: Thomas Aurin

Frust schafft Wut. Mit ihr im Bauch haut der Kasimir den Lukas auf den Kopf, dass das Metallstück fast bis zu dem Zeppelin hinauf fliegt, der über die Wies’n schwebt.

Fast passt für vieles in der Inszenierung des Horváth-Volksstückes „Kasimir und Karoline“ von Stefan Pucher, die am Schauspiel Stuttgart Premiere hatte.

     Kasimir ist „abgebaut“ worden; er hat in der Weltwirtschaftskrise am Ende der 1920er-Jahre seinen Job als Chauffeur verloren. Keine gute Voraussetzung, um sich mit seiner Verlobten Karoline (hat einen Job) auf dem Oktoberfest zu amüsieren. En Wort gibt das andere; und im Handumdrehen hängt der Haussegen schief. Dabei hat Ödön von Horváth sein bitteres Stück doch unter das Pauluswort gestellt „Und die Liebe höret nimmer auf“. Tut sie doch – weil sie den Verhältnissen nicht standhält. Der Zeppelin als Traum vom besseren Leben bleibt unerreichbar.

   Anders als Brecht, hat der Wiener Dramatiker in seine sogenannten Volksstücke einen doppelten Boden eingezogen. Die Gefühle sind so diffus wie das Streben nach Glück. Während Kasimir mit seinem Schicksal hadert, will Karoline eigentlich nur ein Eis essen und mit der Achterbahn fahren. Eigentlich, uneigentlich möchte sie jedoch ein größeres Stück vom Lebenskuchen haben. Für den Preis, sich selbst zu verraten. Größer erscheint ihr zunächst der Zuschneider Schürzinger – und noch erheblich größer dessen Chef, der Kommerzienrat Rauch. Keinen Stich macht da mehr der Kasimir.

     Horváth lässt sein Personal im für ihn typischen Jargon der Uneigentlichkeit punktgenau aneinander vorbei reden. Er hat das Missverständnis der Sprache implantiert, um die Wirklichkeit bloß zu legen. Denn im Grunde verstehen alle, um was es geht. Um Macht, um Ausbeutung, um nackten Egoismus, Erniedrigung inbegriffen. Ätzend spürbar, so ausweglos trostlos gerät der Oktoberfestbummel, weil der Dramatiker das Instrument der Stilisierung meisterhaft beherrscht.

     Nur nicht der Regisseur. Stéphane Laimé hat ihm zwar eine anspielungsreiche Bühne möbliert; mit einer zerborstenen rot leuchtenden Achterbahn, mit schrägen Ebenen, fesselnden Videoeffekten, einem Kabinett menschlicher Monstrositäten  und Einspielungen von Göbbels- und Hitlersequenzen. Nicht minder bezwingend die suggestive und gegen den Strich gebürstete Live-Musik von Meike Boltersorf, Réka Csiszér und Ekkehard Rössle. Pucher indes bleibt an der Oberfläche, serviert plakativ Klischees statt ausgefeilter Stilisierung und verschenkt diese unheimlichen Zwischentöne der Sprache.

     Ohnehin erreichen nur Sandra Gerling als Erna und Felix Mühlen als ihr gewalttätiger Macker Franz Merkl das Niveau Horváthscher Authentizität. Peer Oscar Musinowskis Kasimir bleibt im hysterischen Dauergejammer stecken – und Manja Kuhl ist als mit ganzem Körpereinsatz berechnende mondäne Schöne bar jeglicher Naivität eine glatte Fehlbesetzung. Andreas Leupolds Rauch und Horst Kotterbas krachlederner Oberrichter Speer taugen als Abziehbilder von Stammtischheroen, während Paul Grills Schürzinger nur in Momenten die Schleimspur des Opportunisten glitzern lässt.

         Es wurde übrigens viel gelacht im Publikum. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass auf der Bühne einiges schief gelaufen ist. In diesem Kontext lassen sich auch die Bravo-Rufe im Schlussbeifall erklären. 

Wolfgang Nußbaumer

 

 

 

   

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