Das Ich im Zwiespalt

Foto: Peter Hageneder Foto: Peter Hageneder

„Der Lauf einer Waffe ist auf meinen Kopf gerichtet.“

Mit diesem Fröstelsatz beginnt der Roman „Binde zwei Vögel zusammen“ von Isabelle Lehn. Mit ihm beginnt sie auch ihre Lesung im überfüllten kleinen Sitzungssaal des Aalener Rathauses. Nach ihr wird Saša Stanišić mit dem dauerverstimmten Georg  Horvath bekannt machen. Wenigstens keine Waffe am Kopf, Tod dennoch nicht ausgeschlossen.

    Lehn und  Stanišić waren am Abend zuvor mit dem von der Kreissparkasse Ostalb unterstützten Förderpreis und mit dem Schubart-Literaturpreis ausgezeichnet worden. Entsprechend groß war die Neugier, die beiden Literaten in ihrem ureigenen Element zu erleben.

    OB Thilo Rentschler folgerte aus der Überfülle, manchmal lohne es sich eben, etwas früher da zu sein. Manchmal lohnt es sich allerdings auch, gleich einen größeren Raum zu wählen – wie das in dieser Disziplin bewährte Rathausfoyer. Mehr frische Luft, um der so unterschiedlichen Prosa mit wachem Geist folgen zu können. Drunter geht’s bei beiden nicht. Weil es bei Lehn unerbittlich beobachtend um die entscheidende Frage nach uns selbst, nach unserer Identität und deren Gefährdung geht. In Stanišićs himmelschreiend abgründig komischen Geschichte aus seinem Erzählband „Fallensteller“ lernt man zwar die Hauptfigur Georg Horvath als Beobachter kennen; allerdings als einen, der  sich in seinem obsessivem Begriffsmisstrauen auf die eigene Nabelschau fokussiert. Was für ein Nabel! In ihm sprudeln die wunderlichsten Begriffsanalysen, in denen er vom Hundertsten ins Tausendste und wieder auf Null kommt, wie einst der von Blechtrommler Oskar Matzeraths Spucke entfachte Brausepulvervulkan in Marias Bauchnabel.

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     Anders als Maria auf das Brausepulver reagiert der junge Journalist und Ich-Erzähler Albert Jacob auf die Zumutung einer als Fiktion getarnten Realität. Sechs Wochen lang soll er in einem Übungscamp, in dem Soldaten auf ihren Einsatz am Hindukusch vorbereitet werden, neben anderen Kriegsspielkomparsen den afghanischen Kaffeehausbesitzer Aladdin spielen. Dem und damit Albert widerfährt nach und nach alles, was einem in diesem Krieg gegen die Taliban als Afghane widerfahren kann. Bis er nicht mehr zwischen Spiel und Ernst, zwischen Fiktion und Realität unterscheiden kann. Letztlich kehrt er statt mit einer tollen Reportage als traumatisierter Sozialkrüppel zurück, wie viele Soldaten auch.

    Tatsächlich knallt es immer wieder verdammt laut, als Saša  Stanišić mit Georg Horvath nach Brasilien reist. Die überempfindlichen Mikrofone reagieren auf seine temperamentvolle Körpersprache äußerst ungehalten. Aber auch von diesem akustischen Störfeuer lässt sich dieser Sprachmagier nicht einschüchtern.

     Georg Horvath, dessen Nachname sicher nicht zufällig an den großen Wiener Dramatiker erinnert, der wie   Stanišić ein Herz für die Verlierer hatte, dieser Horvath also überprüft  schon manisch Bilder und Begriffe wie das „Lichtermeer“ (beim Anflug auf Rio) auf ihre Logik – und erfindet dabei seine eigene, surreale, inspiriert von Kafka und Beckett. Er ist ein Getriebener, der sich treiben lässt, ein narrativer Mäandertaler, ein zutiefst menschlicher Tagträumer – einer von uns. Das Ringen um die richtigen Worte hat an dieser Stelle ein Ende. Das kann der Schubartpreisträger 2017 viel, viel besser. 

Wolfgang Nußbaumer

              

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