Ein Herz für Verlierer Empfehlung

Sasa Stanisic Sasa Stanisic Fotos: Peter Hageneder

"Ich schreibe gerne über Verlierer", bekennt Sasa Stanisic. Da fällt ihm sein kleiner Sohn vom Schoß der Mutter aus lautstark weinend ins Wort.

"Immerhin hat er so lange durchgehalten", lobt der stolze Vater. Hätte der kleine Mann verstanden, was sein Vater in seiner Fiktion und Realität grandios (man kann's nicht anders nennen) verschränkenden Dankesrede  für die Verleihung des mit immerhin 15.000 Euro dotierten Schubart-Literaturpreises der Stadt Aalen gesagt, nein durch ein Gedankenlabyrinth geführt hat, dessen sichernder Ariadnefaden allein in seinen Händen lag. Dazu muss man etwas ausholen. In seinem Roman "Vor dem Fest" hat er den Ort Fürstenfelde erfunden, für dessen mal mehr mal weniger kauzige Geschichte und Bewohner wiederum das reale Fürstenwerder in der Uckermark Pate gestanden hat. Weil der im Alter von 14 Jahren 1992 mit seiner Familie vor dem Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien nach Deutschland geflohene Autor dieses Milieu derart punktgenau beschrieben hat, machte sich ein Rentnerpaar aus Zürich mit dem Rad auf den Weg nach Fürstenwerderfelde - oder so. Jedenfalls erhielt Stanisic einen Anruf, in Fürstenwerder seien zwei verrückte radelnde Schweizer eingetroffen, die Fürstenfelde suchten. So viel zu Macht und Wirksamkeit von Literatur.

   Der 39 Jahre alte gebürtige Bosnier mit den vollen schwarzen Haaren, unter denen zwei dunkle Augen lächelnd brennen, glaubt an die Wirkmacht von Literatur. Sonst bräuchte er gar nicht erst zu schreiben. Bräuchte er nicht die Worte zu hinterfragen auf der Suche nach den Menschen dahinter. Müsste er nicht die Wirklichkeit bis in die tausendste Verästelung hinein hinterfragen, wo die Ursachen für ihr So-Sein liegen. Wie in seinem aktuellen Erzählband "Fallensteller". Insofern ist der Wortzauberer ein genuiner Bruder und Nachfahre im Geiste jenes  Friedrich Christian Daniel Schubart, der für seine Freiheitsprosa und -poesie einst eingekerkert worden ist. Jener streitbare Musiker, Prediger, Publizist und  Genussmensch hat das Jurymitglied Stefan Kister dazu veranlasst, "kopfüber ins Wasser seiner Erinnerung" zu springen und just jene Forelle zu erwischen, die am Haken derer landen, die im Trüben fischen. Im Umkehrschluss sorgen Schriftsteller wie der Flüchtling Stanisic mit ihrem Schreiben für die Klarheit des Wassers.

   Unabdingbare Voraussetzung ist allerdings eine funktionierende Demokratie, die das uneingeschränkte Recht garantiert, seine Meinung frei zu äußern. Darauf hatte Aalens OB Thilo Rentschler hingewiesen, der am Tag des türkischen Referendums in der Partnerstadt Antakya die dort mit einem deutlichen "Nein" erfolgte Abstimmung hautnah miterlebt hatte.

   In Isabelle Lehns Romandebüt "Binde zwei Vögel zusammen" will sich der junge Journalist Albert Jacob ein paar Euro verdienen, indem er sich verpflichtet, für sechs Wochen in einem Trainingslager in der Oberpfalz für Afghanistan-Soldaten den Kaffeehausbesitzer Aladdin zu spielen. Eigentlich wittert er Stoff für eine außergewöhnliche Reportage, wie die Laudatorin Verena Auffermann schildert. Statt dessen schliddert er in sein persönliches Schlamassel. Dieser Aladdin dient sich ihm zunehmend als alter ego an, bis er kaum noch zwischen ihm und sich unterschieden kann. Er ist zum Opfer in einem fiktionalen Krieg geworden, der die Realität vorwegnimmt. Nichts passiert, aber alles ist möglich. Sein persönlicher Verlust ist der seiner Identität. Das Spiel ist ihm entglitten. Neben den 5000 Euro, mit denen die Kreissparkasse Ostalb den Förderpreis ausstattet, kann sich Isabelle Lehn über das Lob der Literaturkritikerin Auffermann freuen: "Wir bedanken uns bei Isabelle Lehn für diese Exkursion auf das Gelände einer realen Utopie und für die Beunruhigung, die ihr Buch über unsere Wirklichkeit hinterlässt." Und die Preisträgerin bedankte sich mit einem Gedicht von Schubart, in dem dieser das Postulat der Freiheit beschwört.

   Der alte Poltergeist, den auch die Festungshaft nicht (ganz) beugen konnte, behielt - natürlich - in Gestalt des Schauspielers Arwid Klaws vom Theater der Stadt Aalen das letzte Wort. Zwar platzte er mitten hinein in das letzte Stück des trefflichen Frauentrios "Ensemble Noué" - ein schmerzlicher Zusammenprall zwar zwischen Fiktion und Realität; aber insofern dem Grundthema des Abends angemessen.

Eröffnet hatten ihn die Aalener Urban Dance Crew "Keraamika" und das Cello-Ensemble "Cellikatessen" mit einer kraftvollen, sinnlich-suggestven Adaption der "Westside-Story" zum "Danzón"´Nr. 2" des mexikanischen Komponisten Arturo Márquez. Neben der Dankesrede von Sasa Stanisic das frenetisch bejubelte Glanzlicht dieses denkwürdigen Abends in der Stadthalle.

Wolfgang Nußbaumer     

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