Zypern ist überall Empfehlung

Das Plakat zum "Othello" mit Taner Sahintürk Das Plakat zum "Othello" mit Taner Sahintürk Esra Rotthoff

Am Anfang ist in Christian Weises Inszenierung von Soeren Voimas „Othello“-Adaption am Maxim Gorki Theater Berlin die schiefe Ebene.

Auf ihr rutschen die Protagonisten wie aus einem überfüllten Uterus ins Scheinwerferlicht der Bühne; eine Sturzgeburt nach der andern. Shakespeare hätte an diesem fulminanten Entrée ins Spiel um Schein und Sein sicher seinen Spaß gehabt.

   Bis auf den handfesten Haudegen Othello (überragend Taner Sahintürk) und den perfekt mephistophelischen Jago des Thomas Wodianka als „Spielleiter“ sind alle im überbordenden Renaissancelook kostümiert. Im Wortsinne Marionetten der venezianischen Machtclique, für die der Feldherr die Kolonie Zypern gegen die Türken verteidigen soll, staksen sie, von einem fantastischen Musikerduo (Jens Dohle, Falk Effenberger) animiert, grotesk ins Geschehen. Und alle sind Männer, selbst die stattliche Desdemona (Aram Tafreshian) und die Wuchtbrumme Emilia (Falilou Seck).

     Othellos Flotte hat Glück mit dem Wetter; ein Sturm bringt die Türkenarmada zum Kentern. Visualisiert nach Art alter Holzschnitte, tost der Sturm und schaukeln die Schiffe als schwarzweißer Comic über Wände und Decke des Theaterraumes. Gluck, gluck, weg war sie. Doch mit des Geschickes Mächten ist kein ewger Bund zu flechten. Das Geschick heißt Jago und trickst als Spielleiter, sprich Herr des Geschehens, den wackeren Realisten nach allen Regeln der Ranküne aus. Soweit die slapstickgewürzte Folie für eine weitere zielgenaue Dekonstruktion am Gorki. Das Volk, der große Lümmel, spielt keine Rolle. Die Zyprioten taugen gerade noch als Chor der Pragmatiker, die mit jeder Herrschaft irgendwie klar kommen. Zu diesem Chor versammelt sich das gesamte Bühnenpersonal. Männlich, schwul, randgruppenhaft. Insofern sind schon alle in einem.

     Das ist das wunderbar Gemeine an diesem Regiekonzept: Mit den Mitteln der Groteske entlarvt es den alltäglichen Rassismus, die Ausgrenzungsmechanismen, die dogmatische Hybris der Herrschenden, die den Mohren zum obskuren Objekt macht. In unserem Bühnenfall ist er real ein Türke. Schon in die Falle getappt. Er hat in Castrop-Rauxel das Licht der Welt erblickt und in der Jugend auf Schalke gekickt. Der Name, das Aussehen – Schein und Sein. Wie bei allen Akteuren.

    Wenn mal vermeintlich Sand ins Getriebe dieses mit burleskem Witz gewürzten tragikomischen Spiels gerät, nützt einer der Mimen die Gelegenheit, um an die Rampe zu treten und dem Publikum ganz entspannt und ganz real aus seinem Schauspielerleben zu erzählen. Seht, wir machen da nur unseren Job. Was er sagt, ist jedoch fiktiv, eine „fake news“ – Spiel im Spiel.

     Weises Regiekonzept wirkt durchaus „brechtig“, nur setzt er die verfremdenden Elemente mit nonchalanter Eleganz. Umso drastischer empfindet man den Gegensatz zum aus Eifersucht, Enttäuschung, Frust und Ratlosigkeit gespeisten finalen zerstörerischen Zornausbruch Othellos. Dieser ist im Grunde obsolet, weil sich so ziemlich alle Beteiligten ohnehin als schwul geoutet haben. Als Außenseiter, die zusammengehören und nur gemeinsam stark sein können. Wobei dieses Konstrukt letztlich nur eine Metapher ist. Mit dieser raffinierten Volte rehabilitiert Weise zwar die Unterdrückten, an der systembedingten Aus- und Abgrenzung ändert sich jedoch nichts. Im Chor der herrschenden Eliten finden die „underdogs“ kein Gehör. 

             Wolfgang Nußbaumer 

Info: Nächste Aufführung am Mittwoch, 22. März, 19.30 Uhr; Karten unter www.gorki.de

     

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