Salto auf dem Hochseil Empfehlung

Scheherazade (Alice Katharina Schmidt) zieht an ihrem Scherenschnitt-Tisch alle Register, um den mordlustigen Herrscher erzählerisch zu befriedigen. Scheherazade (Alice Katharina Schmidt) zieht an ihrem Scherenschnitt-Tisch alle Register, um den mordlustigen Herrscher erzählerisch zu befriedigen. Fotos: Peter Schlipf

  Wer wagt, gewinnt. Die Regisseurin Ruth Messing hat zusammen mit der Dramaturgin Tina Brüggemann mit ihrer Inszenierung „Sprich oder stirb – Scheherazade ohne Worte“ am Theater der Stadt Aalen viel gewagt – und viel gewonnen.

     Scheherazade war die persische Prinzessin, die mit ihren Geschichten 1000 und einmal Nacht für Nacht ihren eigenen Hals und damit den vieler anderer Frauen gerettet hat. Vor dem Todesurteil jenes Königs, der aus Gram, Zorn und Enttäuschung über die Untreue seiner Gattin alle Frauen, die er ehelicht, nach einer Nacht über die Klinge springen lässt. Diese Scheherazade muss sich also den Mund fusselig geredet haben, um – eine für alle – ihr Leben zu retten. Ihr Trick: Sie lässt das Ende jeder Geschichte offen, damit der gnadenlose Herrscher neugierig bleibt.

     Wer wie in diesem selbst entwickelten Stück über den morgenländischen Mythenklassiker, der bestimmt keine Jugendliteratur ist, auf Worte verzichtet, muss bärenstarke Bilder finden. Geht das überhaupt. Werden sie in die Pantomimenfalle tappen? Gähn? Nein. Aus Elementen des Objekt- und Schattentheaters, des Stummfilms, des Comics, mit mörderisch schwarzhumorigem Slapstick  und notwendigerweise mit pantomimischem Vokabular basteln die Theatermacher zusammen mit der Ausstatterin Ana Tasic in der Intimität des Studios im Alten Rathaus 70 komische, gruselige, groteske, bestürzende, traurige, augenzwinkernde - schlicht durch und durch poetische Bühnenminuten zusammen.

     Ein Salto auf dem Hochseil.  Dieser gelingt ebenso wie jener, mit dem die hinreißend wandlungsfähige Scheherazade der Alice Katharina Schmidt in einem der Wettbewerbe, zu denen sie ihn herausfordert, den grantigen König zu düpieren versucht. Das Imperium schlägt natürlich zurück.

      Aber indem das zu Beginn so abgrundhässlich und gemein  in das Publikum starrende blut- und sexgierige Monster des Bernd Tauber mehr und mehr dem Spieltrieb verfällt, verdrängen nach und nach Neugier, Staunen, Zögern, ein leises Lächeln und wissende Melancholie über einen Verlust die Fratze aus dem grau geschminkten Gesicht.

     Die hohe Kunst dabei ist, mimisch und gestisch deutlich zu sein, ohne den Charakter outrierend zu übertünchen. Das schaffen beide Mimen mit Bravour. Und holen dazu noch körpersprachlich zitierend Marcel Marceau und Charlie Chaplin ins im Erzählfluss schwankende Boot.

     Mit welchen konkreten Bilderzählungen und Interaktionen dieses Unternehmen gelingt, einen Gewaltherrscher zu domestizieren, wollen wir nicht verraten. Das wäre Verrat. Ein Dritter muss jedoch noch erwähnt werden. Claus Wengenmayr verwandelt auf Klavier, diversem Schlagwerk, Tröten, Mundharmonika und Mundorgel und mit der eigenen Stimme in doppeltem Sinne spielend diese komplexe Versuchsanordnung in ein mit lang anhaltendem Beifall honoriertes Gesamtkunstwerk.

                                                                              John Wolf     

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