"Faust" auf Auge und Ohr

Mandy Fredrich (Margarethe) und Gezim Myshketa (Valentin) Mandy Fredrich (Margarethe) und Gezim Myshketa (Valentin) Fotos: Thomas Aurin

Ein Paukenschlag - Gounods Oper "Faust" in Stuttgart.

Drei auf ihre Weise exemplarische „Faust“-Inszenierungen sind in den letzten Jahren auf deutsche Bühnen gekommen. Robert Wilsons Licht-Musik-Spektakel am „Berliner Ensemble“, Martin Kusejs ungemein heutiger fiebrig-düsterer Blick auf Goethes Klassiker am "Resi" in München – und jetzt Frank Castorfs in jeder Hinsicht packende Gounod-Adaption an der Staatsoper Stuttgart.

   Vielleicht ist diese Inszenierung des scheidenden Chefs der Berliner Volksbühne die komplexeste Version. Hochdramatisches Musiktheater, realistische Doku-Soap, ein Film im Film, eine Choroper par excellence – Futter für Auge und Ohr, bis man pappsatt kaum noch von seinem Theatersessel zum Jubeln hochkommt. Ach, eigentlich hätte man sogar noch einen Nachschlag von dieser faustischen Festtafel vertragen.

Ob er sie wohl rumkriegt? Atalla Ayan als Faust und Mandy Fredrich als Margarethe.

 

    In Charles Gounods Oper geht es weniger um ideelle Erkenntnissuche auf dem Rücken eines armen Hascherls; der Franzose interessiert sich ausschließlich für die Liebesgeschichte zwischen Faust und Gretchen. Mephisto erfüllt ihm seinen Wunsch, nochmals mit jugendlichem Elan die Liebeslust suchen zu können. Dafür verkauft er seine Seele dem Teufel. Wenn man so will ein Win-Win-Geschäft. Ein hoher Preis indes für ein bisschen als Liebe verkleidetem Sex.

     Margarethe startet schon von allen guten Geistern verlassen in ihr Unglück. Ihre Mutter ist bereits tot. Und in Frau Marthe hat sie nicht gerade eine Tugendhüterin an der Seite. Diese Margarethe weiß in Gestalt der saftig-sinnlichen Mandy Fredrich um ihre Reize und zu was, sie sie befähigen. Als willfähriges Opfer definiert sich für sie parallel und durchaus im Widerspruch zu ihrer tiefen Gottesfurcht das Sein nicht durch das Bewusstsein, sondern den Schein des Geschmeides, mit dem Faust sie ködert.

Zweimal im Video und einmal real auf der Bühne: Iris Vermillion (Marthe) und Adam Palka (Mephisto) beim Tête-à-tête.

     Das ganze sozial- und gesellschaftskritische Drumrum, angefangen im lebenshungrigen Paris der 1850er-Jahre bis in die Zeit des Algerienkrieges, spiegelt sich nicht nur in der von der Drehbühne bewegten ausgefeilten Architektur des Bühnenbildners Aleksandar Denic, sondern auch in Gedichten von Baudelaire, Rimbaud und Verlaine wider, die zwischendurch rezitiert werden.

     Die diversen verwirrend anspielungsreichen Videosequenzen bringen zusätzlich Sand ins Verstehensgetriebe. Auch die Spots zweier Videofilmer, die permanent auf der Bühne unterwegs sind, tragen zwar nichts zur Wahrheitsfindung bei, geben aber wenigstens denen im Dunkeln ein Gesicht. Nüchtern gesehen bleibt dem Zuschauer nichts erspart. Er ist immer dabei und mittendrin. In Gretchens Zimmer, in der tatsächlich existierenden Metrostation „Stalingrad“, vor Notre-Dame, zusammen mit dem omnipräsenten Staatsopernchor in der Walpurgisnacht, in der Imbissbude  und in der Soldatenkneipe.

Auf in den Kampf: Michael Nagl (Wagner) mit Mitgliedern des Staatsopernchores.

     Gesungen und gespielt wird durchgängig auf ganz hohem Niveau. Der zynisch-pragmatische Mephisto des fantastisch geführten Baritons von Adam Palka ist der Dunkelmann schlechthin. Echte Lichtgestalten sind Fehlanzeige; vielleicht Josy Santos in der Hosenrolle des Faust-Schülers Siebel, der ebenfalls in Margarethe verliebt ist.  Atalla Ayan gibt mit seinem geschmeidigen, warmen Tenor dessen Meister, dessen Liebesgier immer wieder mit seinem Wankelmut kollidiert, differenziertes Profil.

Mit einem Fluch auf die Schwester hat er sein Leben ausgehaucht. Gezim Myshketa (Valentin) mit Mitgliedern des Staatsopernchores.

     Mandy Fredrich kann sich ganz auf ihre szenische Darstellung konzentrieren – zumindest in der Aufführung, die wir gesehen haben. Stimme verlieh der stark erkälteten Sängerin vom Bühnenrand aus ihre kurzfristig eingesprungene Kollegin Vida Mikneviciute mit einem bis in höchste Lagen voll tönenden lyrischen Sopran.  Gezim Myshketa als erschreckend dogmatisch glaubender Bruder Valentin, Michael Nagl als kriegslustiger Wagner und die souveräne Iris Vermillion als berechnend-biestige Marthe sind weitere Garanten des Opernerfolgs.

    Die Bravo-Rufe und “Standing Ovations“ nach gut dreieinhalb fantastischen Stunden gelten auch dem Personal im Orchestergraben. Marc Soustrot lotet mit dem Staatsorchester die fiebrige Wärme, die dunkle Trauer und die tröstenden Choralmomente in Gounods Musik mit disziplinierter Vitalität blendend aus.                                                             John Wolf

 

Info: Nächste Aufführungen am 16., 21. und 30. Januar 2017. Jeweils 45 Minuten vor Vorstellungsbeginn findet eine Einführung statt. Das nächste „Nach(t)gespräch“, bei dem das Produktionsteam im Anschluss an die Vorstellung Fragen beantwortet, ist für Samstag, 21. Januar, geplant. – Karten über www.oper-stuttgart.de; telefonisch unter (0711)202090

                                                 

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