Aufgeben ist keine Option Empfehlung

Viel Gesprächsstoff liefert Regina Baumhauers vielfältige Werkschau. Viel Gesprächsstoff liefert Regina Baumhauers vielfältige Werkschau. Fotos: jow

In Steven Spielbergs in Schwarzweiß gedrehtem Film „Schindlers Liste“ taucht als einziger Farbtupfer ein kleines Mädchen im roten Mantel auf. Das Kind hat den Holocaust überlebt und lebt heute als Malerin und Autorin in München und Krakau. Wollte der Regisseur damit ein leises Zeichen der Hoffnung setzen? Anmerkungen zu einer außergewöhnlichen Werkschau in Schwäbisch Gmünd.

     Im Werk der Malerin und Bildhauerin Regina Baumhauer, das retrospektiv bis 5. Februar 2017 im Museum im Prediger in Schwäbisch Gmünd zu sehen ist, spielen kleine Zeichen ebenfalls eine große Rolle. Wie das kleine orangefarbene Dreieck  im „Open Letter, Little Miss Liberty Crossing the Delaware #1“ (2014). Es könnte eine Anspielung auf George Washington in Emanuel Leutzes von patriotischem Pathos geprägtem Gemälde „Washington Crossing the Delaware“ sein. Eine sehr unheldische Anspielung. Regina Baumhauer ist selbst eine „Little Miss Liberty“, die sich im Delaware des Lebens behauptet.

     Insofern verrät dieser Open Letter wie etliche andere ebenfalls viel über dessen Absenderin. Auf erwähntem Bild sehen wir eine Rückenansicht aus einem weißen Quadrat auftauchen, das wie ein Fenster wirkt. Das schwarze Gebilde auf dem Kopf, dessen Haar in einem langen Zopf gezähmt ist, könnte eine Haube sein – oder die fünf Krallenfinger einer Hand, die als Alp auf  ihm lastet.

    Ambivalenz durchzieht das vielfältige Schaffen der seit vielen Jahren in New York lebenden Künstlerin ebenso wie eine feine Selbstironie. Früher hat sie noch unbekümmert „genmanipuliert“ und der Freiheitsstatue einen Schweinskopf aufgesetzt – und umgekehrt. Über 20 Jahre später holt die Wirklichkeit der Karikatur dieses spöttische Spiel mit Schein und Sein ein. Diese zeigt in der „Südwest Presse“ vom Montag, 10. Oktober, wie ein Männchen, das man unschwer als den republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump identifizieren kann, die Freiheitsstatue hinaufklettert und ihr in den Schoß grabscht. Ein Trump ist tatsächlich nach 9/11 noch möglich.

     Mehr als Grund genug für eine „Little Miss Liberty“ wie die zarte Frau mit dem großen Kämpferherzen, Regina Baumhauer, die Hände erst recht nicht in den Schoß zu legen, sondern den Gefährdungen, den Bedrohungen, den Unsicherheiten, der Brüchigkeit von Existenz, auch der eigenen, bildhaften Ausdruck zu verleihen – und gleichzeitig die Fahne der Freiheit unbeirrt hoch und den Funken Hoffnung am Glühen zu halten. In Gemälde und Zeichnung (wie in ihrem fesselnden „Diary“-Zyklus), in Opulenz und Reduktion, in der ihre Bilderzählungen metaphorisch verrätselnden Kombination von Figuration und Abstraktion – und in einem atemberaubend grimmigen Humor. In einem „Open Letter“ von 2015 gibt sie einen sch(m)erzhaften Einblick in das „Neurofeedback“ ihrer „Miss Liberty“.

     Ja, Aufgeben ist keine Option, weder für Regina Baumhauer noch ihr alter ego „Miss Liberty“. „Dafür schätze ich dich ganz besonders“, hat die aus Luxemburg angereiste Journalistin und Medienpädagogin Judith Reicherzer am Ende ihrer einfühlsamen Vernissagerede bekannt. Wir alle, denen diese kleine große Frau und ihre Kunst Herzenssache ist, schätzen sie dafür. Und wessen Herz nicht höher schlägt, wem nicht ab und zu Tränen in die Augen steigen, wenn er sich auf die von Museumsleiterin Dr. Monika Boosen und ihrem Team kongenial präsentierte Werkschau einlässt, der oder die haben erst gar nicht versucht, das Wagnis der Flussüberquerung auf sich zu nehmen.                                                   John Wolf

 Info: Die Ausstellung als Herzstück der Trilogie über Gmünder Künstlerpersönlichkeiten, die nach New York gegangen sind, ist bis 5. Februar 2017 im Museum im Prediger zu sehen. Nähere Infos unter www.museum-galerie-fabrik.de

Dringend zu empfehlen ist das die Werkschau begleitende, schön gestaltete zweisprachige Kunstbuch mit sehr persönlichen Texten und einer lohnenden Auswahl der Exponate (20 €).

Führungen 

Öffentlich, ohne Voranmeldung, mit Dr. Marion Vogt:
So, 30.10., 13.11., 4.12.2016 und 29.1.2017, je 15 Uhr
Für Mitglieder und Freunde des Gmünder Museumsvereins: Di,18.10.2016,19 Uhr 

Blaue Stunde 

Do, 24.11.2016 und 26.1.2017, je 18 Uhr 

Künstlergespräch 

So, 18.12.2016, 16 Uhr. Moderation: Dr. Evamarie Blattner, Kuratorin und Autorin, Stadtmuseum Tübingen. Improvisation: Antonia Bott. Die Veranstaltung steht unter der Schirmherrschaft des Heidelberg Center for American Studies (HCA), Heidelberg. 

Für Kinder und Jugendliche 

»Im Boot mit Miss Liberty«, Kids-Club, 5-10 Jahre:
Sa, 26.11., 11 Uhr
Information / Anmeldung: Museum, Telefon 07171 603-4130 

»Gritzegrau und kunterbunt«, Kunstwerkstatt, 3-6 Jahre: Kurs I ab Di,11.10.2016,7x, jeweils 16.15-17.30 Uhr
Kurs II b Di,10.1.2017,7x, jeweils 16.15-17.30 Uhr
»Du, Dein Pinsel, Zeichenstifte...«, Kunstwerkstatt, 6-8 Jahre: Kurs I ab Sa, 8.10.2016,8x, jeweils 9.30-11.00 Uhr 

Kurs II ab Sa,10.12.2016,8x, jeweils 9.30-11.00 Uhr Jugendkunstschule im Kepplerhaus, Münsterplatz 19 Information / Anmeldung: Gmünder VHS, Telefon 07171 92515-0 

Eintritt: 4,50 Euro / 3,50 Euro / Kinder und Jugendliche (bis 18) sowie Inhaber Museums-Pass-Musées frei

Information 

 

Museum und Galerie im Prediger
Johannisplatz 3, 73525 Schwäbisch Gmünd
Telefon 07171 603-4130, museum@schwaebisch-gmuend.de www.museum-galerie-fabrik.de 

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