Warnung
  • JUser: :_load: Fehler beim Laden des Benutzers mit der ID: 68

Wo Leerzeile auf Kunst trifft Empfehlung

Foto: HK Foto: HK

Die Nachwuchskünstler Leonie Brenner und Pirmin Lang zeigen im Aalener Landratsamt Malereien und Objekte.

Es sind gerademal sechs Jahre her, seit die beiden Vergleichbares im Ellwanger Palais Adelmann präsentierten. "Auf Leerzeile #1 folgt nun Leerzeile #2" steht kryptisch in der Einladung. Gemeint sind die „leeren Zeilen“ zwischen der haptischen Kunst, die Raum für eigene Gedanken und Assoziationen, für Texte und Geschichten ermöglichen. Beispielsweise erinnern die in Öl gesetzten Häuschen - Pirmin Lang nennt sie "Laube", "Loge" und "Luftschloss" - in ihrer Farbkonstellation an rätselhafte Traumgebilde.

Fern architektonischer Ambitionen zeigen sich schwärmerisch wirkende Farben verantwortlich, dunkle Kontraste und wohlbedachte Schattierungen beeinflussen den Blick, was in "Der große Zauberer" und "Das weiße wirbelnde Nichts" besonders deutlich wird. Entgegen aller semantischer Vermutung stehen sie seltsam eindeutig Uneindeutigem gegenüber: Fußbällen, deren Rundes niemals wieder ein Tor sehen wird. Leonie Brenner gab ihnen eine neue Form und damit eine neue Bedeutung. Angesichts der Vielzahl eigenartiger Objekte und Malereien im Foyer des Landratsamtes bleibt Kreiskämmerer Karl Kurz in seiner Begrüßung folgerichtig nur zu fragen: "Wie kann man Kunst lesen?" Wobei er es grundsätzlich für eine "tolle Gabe" hält, Gedanke und Gefühle künstlerisch ausdrücken zu können.

 

leerzeile03

Von Tucholsky soll bekanntlich die Metapher "Bilder sagen mehr als 1000 Worte" stammen, bei der Ausstellung im Landratsamt muss sich allerdings jeder Betrachter seinen eigenen Reim darauf machen. Nicht zuletzt da sich Andreas Hauber als Vernissageredner bewusst einer Interpretation entzieht. Er wolle nicht bevormunden, den Kunstfreunden keine fertige Auslegung vorgeben, rechtfertigt er sich. Das sei sonst wie ein Film, der vor dem Ursprungsbuch angeschaut werde, man bekomme die Zelluloidbilder nie wieder aus dem Kopf, was beim Lesen die eigene Phantasie behindere. "Das verstellt den Blick aufs Wesentliche." Zudem sei alles, was er sage, subjektiv, beziehe sich nur auf seine Sichtweise, seine Erfahrungen und die sich daraus entwickelnden Auslegungen. Allerdings will Andreas Hauber die Besucher der Vernissage nicht ganz im Regen stehen lassen. "Ich möchte eine Atmosphäre für das schaffen, was sie unmittelbar sehen können", verspricht er und gibt Tipps, wie man sich an die Kunst von Leonie Brenner und Pirmin Lang herantasten kann. Sein Credo: "Sie haben recht mit dem, was Sie sehen! Wichtig ist aber: Reden Sie immer mit anderen darüber."

leerzeile04

Die "Kunst zwischen den Zeilen" erlernte Leonie Brenner an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart und an der Universidad de Arte y Ciencias Sociales in Valpaaiso, Chile sowie an der Hochschule für Gestaltung und Kunst Basel. In zahlreichen Ausstellungen konnte die in Aalen geborene und in Ellwangen aufgewachsene Künstlerin mit einem Mix aus Gummi und Salz bereits den künstlerischen Bogen von Grafik zu Objektkunst spannen.

leerzeile05

Im Aalener Landratsamt stehen, besser liegen, dazu nun Fußbälle bereit. Dabei zeichnet Leonie Brenner unter anderem den Weg des runden Leders während dessen 90minütiger Spielzeit nach, schafft mit dem Stift ein höchst widersprüchliches und vor allem nicht wiederholbares Daktylogramm, den unverwechselbaren Fingerabdruck eines Spiels. Eine zugegebenermaßen wirre wie interessante Strichliste, die einer geheimnisvollen Landkarte zu gleichen scheint.

leerzeile06

"Ich war nie eine wirkliche Malerin", gesteht Leonie Brenner ihren Hang zu Zeichnung und Objekten. "Aktuell war Fußball mein ideales Mittel zum Zweck, da diese Sportart besonders intensiv Emotionen beflügelt und zwar quer durch alle Kulturen." Waschechte Fußballfans werden angesichts malträtierter Bälle bittere Tränen vergießen. Luftleer schlapp, aufgeschnitten und umgestülpt liegt das Leder in der Vitrine oder hängt kuhfellgleich wie eine Jagdtrophäe an der Wand.

leerzeile07

Leonie Brenner beweist mit der neuen Formgebung und dem dadurch erzwungenen Kontextänderung Mut und Kreativität, sie verweist mit ihren Objekten auf eigentlich naheliegende Zusammenhänge, die gedanklich jedoch doch so fern erscheinen. Da darf beim Betrachten ganz nach Haubers Ratschlag fleißig interpretiert und assoziiert werden, um über die Banalität des Fußballs zu ästhetischem Erkennen zu kommen.

leerzeile08

Das gilt auch für Pirmin Lang, dem allerdings die Malerei das Ein und Alles ist, weshalb er dem runden Leder den ganz realen Sezierschnitt verweigert. Sein kreatives Tun bestimmen vielmehr Fotografien, Filme, Erinnerungen, Inhalte von Zeitschriften. Im Ergebnis manchmal durchaus offensichtlich. Dennoch gibt es keine Kontinuität, kein Schema, dem er treu bleibt, das er wie manch ein anderer Künstler hegt und pflegt, um es zu seinem Charakterzug zu erklären.

leerzeile09

Lang verändert vielmehr seine Malerei immer wieder. Er meidet einen festen Duktus, lässt sich unbestimmt leiten. "Vieles geschieht intuitiv, den eigentlichen Malprozess beeinflusst, was mich gerade beschäftigt", erklärt der 1981 in Ellwangen geboren Künstler, der nach dem Studium an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe nun in Stuttgart lebt. Bei der Ausstellungseröffnung hat noch einer seine Spuren hinterlassen: Der erst elfjährige Percussionist Jonathan Elias Zenker, Landespreisträger „Jugend musiziert“, umspielte mit überraschender, weil ungewöhnlicher Musik die Ausstellungseröffnung.

leerzeile10

 

 Bemerkenswerte Vernissagerede

Vernissagereden können bekanntermaßen so oder so ausfallen. Gelegentlich sind sie hilfreich, manchmal überflüssig. Andreas Hauber lieferte in seiner Einführung in die Ausstellung „Leerzeile #2“ im Aalener Landratsamt dazu überraschende wie bemerkenswerte Einsichten.

Vernissagerede:
Es ist im Grunde  eine Zumutung für Sie, dass jemand hier steht und über Kunst redet, dass ich hier bin, um ihnen den Weg zu den hier ausgestellten Bildern und Exponaten zu zeigen. Das kann meiner Ansicht nach ja gar nicht funktionieren (unabhängig von mir), deshalb möchte ich mich, noch bevor ich einen Schaden angerichtet habe, bei Ihnen entschuldigen.Dennoch bin ich hier und soll und möchte vor allem über die Kunst zweier Menschen reden, die mir als Freunde ans Herz gewachsen sind und die ich als Kunst schaffende sehr hoch schätze. Und gerade weil ich sie sehr hoch schätze, möchte ich und darf ich auch so wenig wie möglich sagen, um nicht alles zunichte zu machen. Ich sehe mich auf einem schmalen Grat, ich laufe Gefahr durch mein Gerede ihnen alles zu verderben und dennoch möchte ich sie in eine Stimmung versetzen, die geeignet ist, diese Kunst, die uns hier umgibt nicht zu verstehen, sondern anzuschauen.

Kennen sie das, wenn Sie einen Film anschauen und der gefällt Ihnen gut, so gut sogar, dass Sie danach das Buch lesen. Und ist es ihnen dann auch schon mal so gegangen, dass es vollkommen unmöglich ist das Buch wirklich zu lesen, weil sie immer nur den Film sehen? Wenn Sie, um ein populäres Beispiel zu nennen, den „Herrn der Ringe“ gesehen haben und danach das Buch lesen, wird  dieser Frodo immer nur wie Elisah Wood aussehen und sie werden nie erkennen, dass das eine historische Fehlbesetzung ist, weil dieser Frodo eigentlich völlig anders aussieht, aber das werden sie nie erfahren, weil für sie immer dieser grässliche Elisah-Wood-Jammerlappen-Frodo ins Bild springt. Dabei hat dieser Frodo tausende, ja Millionen Gesichter, aber sie sehen immer nur das eine. Wenn ihnen das bewusst wird, wird es ihnen zuletzt unmöglich sein das Buch zu Ende zu lesen, was auch so schon eine große Herausforderung ist, aber das nur am Rande.

Und wenn ich Ihnen jetzt zu viel über diese Bilder hier sage, dann wird die selbe Situation eintreten, dann werden sie die Bilder nur so sehen können, wie ich es in Ihnen eingepflanzt habe und die Tausend anderen Möglichkeiten sind verstellt und vor allem die Ihnen ureigene Möglichkeit die Bilder zu sehen. Natürlich ist das übertrieben formuliert, ich denke als mündige, selbstdenkende Menschen sind sie durchaus in der Lage sich auch von vorgegebenen Meinungen zu distanzieren, doch das Stilmittel der Übertreibung taugt ganz gut dazu die Gefahr herauszustellen, die besteht, wenn ich zu viel rede. Mein Reden macht es für sie im Grunde nur schwerer die Bilder zu sehen, obwohl ich dazu da bin, es Ihnen leichter zu machen. Wenn ich Ihnen diese Bilder also erkläre, richtiger Weise muss ich sagen, Ihnen erzähle was ich darin sehe, denn auch ich habe ja nur eine subjektive Wahrnehmung, wenn ich ihnen also sage, was ich darin sehe, so werden sie sie nicht mehr für sie richtig sehen können, oder es fällt Ihnen zumindest schwerer.Also muss ich hier in dieser Rede eigentlich, wenn ich meine Aufgabe ernst nehme, über Kunst reden ohne etwas darüber zu sagen. Und ich nehme meine Aufgabe ernst, deshalb sollte ich also das beste tun und schweigen. Aber ich habe versprochen zu reden und bin auch deswegen hier. Was bleibt mir also? Wie soll ich reden, ohne etwas zu sagen um Ihnen nicht zu verderben, worüber ich reden soll?Das Beste was ich erreichen kann ist vielleicht eine Atmosphäre zu schaffen, in ihnen eine Stimmung zu erzeugen, die sie dafür öffnet, sich auf die Bilder wie sie selbst sie sehen können, einzulassen. Das ist sehr gemein von mir Ihnen gegenüber. Denn bei den Werken beider Künstler, sowohl bei Leonie als auch bei Pirmin, gibt es so viel zu entdecken und es entstehen so viele Fragen. Man ist sich nie sicher, was man da genau sieht, was das denn sein könnte und was da gemeint ist. Und ob da wirklich das zu sehen ist, was ich meine zu sehen, oder etwas ganz anderes.


Das ist anstrengend, das kann einen wahnsinnig machen. Das einzige was ich Ihnen dazu sagen kann: Sie haben recht mit dem was sie sehen. Sie haben immer recht. Wenn sie ein Bild anschauen und etwas darauf für sich erkennen und nach 20 Minuten wieder vor dem selben Bilde stehen und etwas ganz anderes sehen, dann haben sie wieder recht. Genauso viel Recht wie vorhin.Lassen Sie sich nichts einreden, lassen sie sich nichts erklären. Manchmal ist man dazu geneigt den Künstler selbst zu fragen, was er denn mit dem oder dem Bild sagen möchte, was seine Intention ist. Lassen sie das. Das verdirbt das Bild. Erklärende Künstler reden sich um Kopf und Kragen. Da ist das Werk und sein Titel. Das muss reichen und das reicht auch. Ganz gemein sind die Werke unter  denen „Ohne Titel“ steht.  Die nerven mich auch. Doch letztendlich sind das die, in denen man am meisten sehen kann. Und meistens hat alles was sie sehen mit Ihnen selbst zu tun. Nicht mit dem Künstler. Sie, wir alle, die wir Kunst anschauen projizieren unser eigenes Leben in die Bilder und sehen darin nur etwas, das mit uns selbst zu tun hat. Und da zeigt sich, worum es dabei geht. Es geht um den Betrachter, nicht um den Schöpfer eines Kunstwerkes. Der Schöpfer ist fertig mit dem Bild, er hat alles `reingemalt´, alles das Bild betreffende ist herausgekommen. Sobald es freigegeben ist, also wie hier in einer Ausstellung zu sehen ist, geht es nur noch uns etwas an. Jetzt können wir daraus machen was wir wollen, aber das ist gefährlich formuliert, deshalb anders gesagt: mit dem umgehen, was das Bild in uns auslöst. Und das ist das, worum es meiner Ansicht nach geht, wenn man Kunst anschaut. Sie merken, diese Ansicht ist etwas extrem. Dennoch halte ich es für den richtigen Ansatz und ich würde mich freuen, wenn sie sich darauf einlassen könnten. Aber das in konsequenter Weise zu tun ist sehr anstrengend und zermürbend, weil wir eben Menschen sind und neugierig und uns austauschen wollen. Deshalb will ich mal nicht so sein. Fragen sie ruhig, reden sie darüber. Aber erst danach. Lassen sie zuerst nur die Werke sprechen. Und lassen dann eine Leerzeile, oder auch zwei, frei. Und schweigen Sie über das Werk, das Ihnen am besten gefällt. Bewahren sie sich das für sich.
Und jetzt tue ich das, was ich vielleicht von Anfang an hätte tun sollen und vielleicht auch getan habe: Ich schweige. Und wünsche Ihnen einen gelingenden Abend.

Andreas Hauber

Nach oben

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.