Zwischen Leben und Tod

Harald Habermann (r.) im Gespräch mit dem Bildhauer Rudolf Kurz (Foto: privat) Harald Habermann (r.) im Gespräch mit dem Bildhauer Rudolf Kurz (Foto: privat)

Harald Habermanns magische Fotografien in der Schloss-Scheune Essingen.


In der Schloss-Scheune Essingen kann man bis 22. Mai in die mannigfaltige Bilderwelt des Fotografen Harald Habermann eintauchen. „Bild[er]leben“ hat er seine Ausstellung mehrdeutig überschrieben. In der von der Kulturinitiative veranstalteten Schau zeigt der in Aalen-Wasseralfingen lebende Fotokünstler neben ausdrucksstarken Porträts, Landschaften und ebenso ungewöhnliche Stillleben. Habermann tut das Gegenteil von dem, was er früher als Modefotograf getan hat. Er muss nicht mehr eine unwirkliche Wirklichkeit noch optisch überhöhen, damit in der Fiktion auch jede Figur gekrönt wird, - heute genießt er das Privileg, ehrlich sein zu dürfen. Nicht mehr dem Fetisch Oberfläche zu dienen, sondern die Befindlichkeit darunter ans Licht zu heben. Harald Habermann ist unter die Wahrheitssucher gegangen.

Nicht von ungefähr zieht sich deshalb die Figur, das Wesen des Clowns, wie ein roter Faden durch diese Ausstellung. Einen Vertreter dieser uralten Zunft der Unangepassten, der Narren und Co. konnten die zahlreichen Vernissagegäste schon beim Betreten des Saales im Wortsinn betreten. Und hatten sie das von großen Spiegeln flankierte Poster von „LaPique“ überquert, zeigte dieser ihnen und ihrem Spiegelbild noch leibhaftig für einen kurzen Überraschungsmoment seine rote Nase.

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Was will Habermann mit dem Ausstellungstitel sagen? Die Bilder leben, sie erzählen vom Leben, man kann sie erleben  und wenn man will, verraten sie ein wenig von ihrem Urheber als ein Leben in Bildern. Denn er will Menschen so zeigen, wie er sie sieht; wie er sie empfindet; was für ihn ihre Persönlichkeit ausmacht. In einer alten Ausgabe einer Time-Life-Edition über die „Photographie“ wird das Wesen eines guten Porträts kurz und prägnant so definiert: „Die Enthüllung des Charakters.“ In den hellsichtigen Aufnahmen dieses Lichtbildners – und das ist wie gesagt ihre herausragende Qualität – begegnen sich immer zwei Charaktere: des Porträtierten und des Porträtisten. Ob es sich nun um Menschen, Bäume, Landschaften oder sogenannte tote Dinge handelt. Das Skelett der Industriebrache, die Fundstücke aus dem Steinbruch, die Blätter vom Kompost.


Für die Abbilder dieser Fundstücke haben der Ausstellungsmacher des Vereins, Peter Bromert, und der Fotograf in den einstigen Pferdekojen schwarz ausgeschlagene Kabinette eingerichtet, in denen die Exponate in ihrer ganzen verborgenen Schönheit zur Geltung kommen.    

Als musikalischer Glücksgriff hat sich die Verpflichtung des jungen Marimbaphonvirtuosen Dominik Englerth erwiesen. Seine Klänge und Rhythmen bewegten sich zwischen atonalem Schmerz und reinster Harmonie – und damit auf Augenhöhe der Bilder.

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Harald Habermanns großes Vorbild ist der Amerikaner Edward Hopper. Als der Maler 1967 starb, war der Wasseralfinger noch ein kleiner Bub und wollte vielleicht Lokomotivführer werden. Der Fotograf eifert also keinem Berufskollegen nach, sondern einer bestimmten Sicht von Welt. Wobei gewisse gestalterische Herangehensweisen darauf verweisen, dass Habermann Hopper als Bruder im Geiste begriffen hat. Die eher reduzierte kühle Farbigkeit, das Spiel mit Hell und Dunkel, der distanzierte, aber ungemein genaue Blick auf menschenleere Stadt- und Gebäudeansichten wie das „Haus am Bahndamm“, der melancholische Habitus der Barbesucher auf dessen wohl berühmtestem Bild „Nighthawks“ („Nachtschwärmer“); und nicht zuletzt die künstlerische Überhöhung völlig banaler Sujets. Hopper hat die Einsamkeit des modernen Menschen zu seinem Leitthema gemacht.     

Nun addieren sich die Bilderfolgen dieser Ausstellung zwar nicht zu einer „Graphic novel“, einer Bilderzählung. Gleichwohl kann man die kurzen Sequenzen und Einzelstücke im Sinne des Ausstellungstitels als Kurzgeschichten lesen. Weil die visuellen Oberflächensignale Emotion und Ratio des Betrachtenden auf die Geschichte hinter der sichtbaren Welt verweisen. Eine Porträtserie einer ausdrucksstarken Frau endet mit dem Bild einer Grabstätte, auf das ein Schatten fällt. Ihr Schatten. Näher kann sie der Erinnerung nicht kommen. Eine andere Sequenz zeigt den Bildhauer Rudolf Kurz. Auf einer Abbildung sitzt er inmitten malträtierter Torsi und des gekreuzigten Jesus.  Inmitten also von Martyrium und Elend. Und lacht versonnen. Irritiert fragt man sich, warum? Oder das Bild mit dem Benediktinermönch Maurus auf der Hohenberger Friedhofsmauer.  Sieger Köder hat ihn bis auf einige Skelettteile als leere Hülle gestaltet. Der Tod hat ganze Arbeit geleistet. Wäre da nicht der Vogel, der wie die Seele des Mönchs in der Diagonalen in den Himmel fliegt. Vollkommene Ruhe, vollkommenen Frieden vermittelt diese Aufnahme.

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Fotografieren sei für ihn wie Meditation, erklärt Harald Habermann. Auch einer der Schlüsselbegriffe zum Verständnis seines Werkes.  Der Mönch als Inkarnation des Todes, die skelettierte Industriebrache unterm Sternenhimmel auf dem Stadtoval, die russischen Kriegsgräber auf dem Friedhof, die Skulpturen des welken Laubes, der „Feuilles mortes“ wie sie im Gedicht von Jacques Prévert als Symbol einer Trennung beschrieben worden sind, die Bäume im weißen Kältehemd – sie alle sind Ausdruck der Meditation. Über Leben und Tod.   

Harald Habermann macht die Menschen, bei aller Melancholie, in seiner Ausstellung auf viel Schönes aufmerksam; auf die Erhabenheit des Banalen, auf das leise Flüstern des Nachtwaldes; auf das Große im Kleinen. Sein Mantra „Es ist so schön, wirklich hinzuschauen“ hat sich für alle Besucherinnen und Besucher seiner Bilderwelt entschieden bewährt.  Sie werden wohl die Einschätzung des Vorsitzenden Ralf A. Groß teilen, der zu Beginn den Fotografen als einen Menschen charakterisiert hatte, „den man einfach lieb haben muss“.    jow

Info: Die Habermann-Ausstellung in der Schloss-Scheune Essingen ist bis 22. Mai Samstag von 13 bis 17 Uhr sowie Sonn- und Feiertag von 11 bis 17 Uhr geöffnet; zusätzliche Öffnungszeiten auf Anfrage unter 0172 / 7345387.
 

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