Dem Gegenstand verpflichtet

Rieger (Foto: jow) Rieger (Foto: jow)

Kunstverein Ellwangen zeigt noch bis 15. Mai im Ellwanger Schloss die Ausstellung „Orbis Pictus“ mit Werken von Helmut Rieger und Artur Stoll.

„Orbis Pictus“ – die sichtbare Welt – hat der Kunstverein Ellwangen eine Ausstellung in seiner Galerie im Schloss ob Ellwangen überschrieben. Noch bis 15. Mai zeigt er Werke zweier renommierter süddeutscher Künstler: Helmut Rieger und Artur Stoll, zwei Brüder im künstlerischen Geiste.
    
Der Titel bezieht sich auf ein Schul- und Jugendbuch aus der Barockzeit. Darin hat der Autor sozusagen die ganze Welt erklärt und beschrieben. Einen seiner Zyklen hat der Maler Helmut Rieger, den der Krieg aus seiner oberschlesischen Heimat Neisse nach Bayern vertrieben hat, in Anspielung auf das Buch aus dem Barock „Orbis Pictus“ genannt. Weil es ihm um die künstlerische Sublimierung der sinnlich wahrnehmbaren Welt zu einer ganz persönlichen Sicht geht, die er figurativ definiert.     

Beide Künstler fühlen sich – allerdings auf unterschiedliche Weise - dem Gegenstand verpflichtet. Das war vor allem in den ersten Nachkriegsjahrzehnten, als die Farbe angeblich aus den Fesseln des Gegenstands befreit wurde und im „Informel“ völlig entfesselt auftrat, alles andere als selbstverständlich. Erstaunlich viele Künstler haben sich dennoch gegenständlich orientiert – im trotzigen Widerspruch zu den akademischen Dogmen und Doktrin. In München hatten sie sich im Verlauf der Sechzigerjahre in den Künstlergruppen „Wir“, „Spur“ und „Geflecht“ zusammengeschlossen. Einer von ihnen war Helmut Rieger, der dem Gegenstand als sichtbarem Ausdruck seiner Selbstreflexion sein Leben lang verbunden blieb. Arbeiten aus jener Zeit zeigen ihn noch in barocker Formen- und Farbfreude schwelgen.

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Serien oder Zyklen spielen im Schaffen von Helmut Rieger – wie in jenem Stolls - eine wichtige Rolle. In ihren Titeln wie „Totentanz“, „Sturz“, „Salomé“, „Jagdszenen“, „Arena“ oder “Skulpteur“ spiegeln sich eigene Lebenserfahrungen und Auseinandersetzungen mit der Gesellschaft wider. In seinem „Orbis pictus“ hat er in einer Art Bildkatalog das weit gespannte Inventar seiner künstlerischen Welt zusammengetragen. In den düsteren „Jagdszenen“, in denen der Jäger immer auch der Gejagte ist,  zeichnet sich der Übergang von der Zeichnung zur tachistisch formulierten figurativen Malerei ab. Blickt man zurück auf die malerischen Anfänge in den Gruppen „Wir“, „Spur“ und „Geflecht“ sieht man, wie sich das Bewusstsein von dem, was wesentlich ist, gewandelt hat; vom überschäumenden, bewegten farbigen und gegenständlichen Erfindungsfuror hin zum Wenigen, das Mehr ist, hin zu sich selbst.  

Stoll   

„Ich wollte immer so malen, wie man ein Feld pflügt. Einfach, selbstverständlich und konzentriert.“ So hat Artur Stoll den Anspruch an sich selbst einmal beschrieben. Felder erstrecken sich um das Dorf Norsingen bei Freiburg genug. Stoll kommt vom Land, das Dorf ist ihm Heimat und Refugium. Diese Wirklichkeit und deren Wahrnehmung haben den hoch begabten Bauernsohn geprägt. Und in der Folge seine Werke.


Die Ausstellung des Kunstvereins zeigt den erdverbundenen Pflüger im großen Format der gemalten Dinge, die unmittelbar selbst Welt sind -  und im kleinen Format seiner zur Kenntlichkeit verfremdeten ländlichen Objekte. Die umhäuteten und in ihrer Holznatur belassenen Gegenstände aus der Natur und vom Bauernhof, die in Vitrinen erstmals öffentlich gezeigt werden, scheinen um ein goldenes Kalb  zu tanzen. Als Kalb steht auf einem Podest ein flüchtig vergoldeter Leiterwagen. Eine Edelkarosse für ländliche Transporte, eine verschmitzte Reminiszenz an die Readymades von Marcel Duchamp, eine Metapher auf den Niedergang der Landwirtschaft? Das entscheidende Anliegen des Bildhauers und Malers offenbart sich in dieser Konstellation: den Dingen ihre Würde zu geben.


In einer der Vitrinen mag man in den gefundenen und leicht bearbeiteten Objekten die Grundausstattung eines archaischen Jägers erkennen. Wer der Erde verbunden ist, lebt in ihrer Geschichte. Und nicht nur im Motiv des Jägers offenbart sich die enge Geistesverwandtschaft zwischen Helmut Rieger und Artur Stoll. Sie treibt um, was ist – oder nicht ist. Der riesige Hase, der auf den ersten Blick in Riegers „Jagdszenen“ beheimatet sein könnte, ist im Grunde die Reinkarnation eines kleinen Haustiers, das einst durch den Stall in Stolls elterlichem Bauernhof gehoppelt ist.


Malen, wie man ein Feld pflügt. Mehrere der sich an den Wänden ausdehnenden Gemälde erinnern an gepflügte Äcker. Stoll trägt dick auf, mischt und überlagert die reinen Farben erst auf der Leinwand; lässt berserkerhaft ganze Brocken stehen wie die Ackerkrume, schafft Täler und Schluchten, Berge und Hügel. Und in die noch weichen Schichten des durchkomponierten Bildreliefs schreibt er mit dem Pinselstiel Spuren. Wie mit dem Vergrößerungsglas zoomt er völlig banale Objekte heran. Und verwandelt sie damit in das Gold der Kunst. Ein simples Fenster, eine alte Tür transformiert er in eine Pforte zu einer geheimnisvollen Welt. In der Tiefe ruht die Erkenntnis.


Ganz nah ist Stoll da wieder beim Raum-Gestalter Rieger. Während dieser figurativ seine menschliche Tragikomödie durchdekliniert, macht „De Norso“, wie er sich später nach seinem Heimatdorf programmatisch genannt hat, den unrunden Lauf der Welt an dinglichen Belanglosigkeiten fest. Die stetige Frage nach Sinn und Zusammenhang sucht er in den einfachen Motiven seiner ländlichen Umgebung, im Stall, in Erntegeräten, in der von Reben und Wein geprägten Landschaft und nicht zuletzt in Tieren wie dem erwähnten Hasen, die ihn seit seiner Kindheit umgaben.           jow

Info: Die Ausstellung „Orbis Pictus“ ist bis 15. Mai Samstag 14-17 Uhr sowie Sonn- und Feiertag 10.30-16.30 Uhr geöffnet.

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