Grandioses Scheitern

Foto: Arno Declair Foto: Arno Declair

Herbert Achternbuschs „Susn“ mit der großartigen Brigitte Hobmeier der Dauerbrenner der Münchner Kammerspiele.


Das schmackhafte Gift der Harmlosigkeit verabreicht Brigitte Hobmeier noch vor Beginn der Aufführung von Herbert Achternbuschs Schauspiel „Susn“ im ausverkauften Werkraum der Münchner Kammerspiele: Herzhafte Stücke von duftendem Leberkäs, kredenzt mit lockeren Sprüchen. Am Ende wird sie als alte, versoffene Frau tot, einfach so, von einer Kloschüssel rutschen. Nix war’s mit der bodenständigen Fleischkäsidylle. Statt dessen ein atemberaubendes bayerisches Roadmovie über das Scheitern.Mal ehrlich, nichts anderes war zu erwarten, wenn Thomas Ostermeier Regie führt. Eigentlich müsste er Herbert heißen, weil die Susn es nur mit solchen hat. Angefangen beim Autor, den die „Süddeutsche“ ziemlich mild als „Grantler“ charakterisiert hat, über den Pfarrer im Beichtstuhl, bis zu ihrem schreibenden Gatten, der tippend nur noch seine Schreibmaschine begattet.


Dieser ewige Herbert symbolisiert und verkörpert Achternbuschs literarisches Lieblingsfeindbild: die innige Verbindung von bigottem Katholizismus und kleinbürgerlicher Dumpfheit. Und die rothaarige Susn ist das lebenshungrige, freiheitsliebende Geschöpf aus dem Bayerischen Wald, das an dieser Verbindung zugrunde geht.

Susn 2 Arno DeclairDoch zuvor nimmt sie das Establishment mächtig auf die Hörner. Dem Pfarrer, der alles ganz genau wissen muss, erzählt sie als pubertierende Schülerin im Beichtstuhl mit an diesem Ort gebräuchlichem Flüsterton die ganzen Verfehlungen der verlogenen Dorfgemeinschaft. Bildlich gedoppelt und in Nahaufnahme auf eine große Leinwand projiziert, sieht man den Sündenfall förmlich von ihren überdeutlich artikulierenden Lippen strömen und im Ohr des Pfaffen verschwinden. Aus der kirchlichen Gemeinschaft derer will sie treten, von denen sie weiß, „dass ihr Glaube nur eine Kopfhaltung ist“. Für Susn jedoch ist das Leben Herzenssache.

Wie Brigitte Hobmeier da trotzig aufbegehrt, wie der Furor in Leib und Seele bis zum Bersten anwächst, das macht den Zuschauer zum Leidens- und Lustgenossen – und den Theaterfreak zum Glücksmenschen.

In Dekadensprüngen geht’s voran. Als Studentin deklamiert sie in einer über die Leinwand krachend dampfenden eruptiven Gewitternacht ihre Sehnsucht nach Leben, Lust und Anerkennung in einer männlich dominierten Welt. Im Rap-Stakkato dient ihr die Sprache als Medium der Selbstvergewisserung.

Als Frau des Literaten, der sich hermetisch von ihrem gesamten um Zuneigung und menschliche Zwiesprache flehenden Wesen isoliert, ist sie zehn Jahre später in ihren an ihm abprallenden Appellen nur noch verzweifeltes Opfer. Mit dem Verdacht jedoch, dass er aus ihrem ungestillten Lebenshunger schriftstellerischen Honig saugt. Der bärige Klotz Gundars Äboliņš dient ihr dabei schweigend, außer in seiner Rolle als Geistlicher, zuverlässig als Reibungsfläche und gestischer Stichwortgeber

Schließlich gibt sie völlig auf. Ihr Wille zur kompromisslosen Selbstbehauptung hat sich an den gesellschaftlichen Verhältnissen aufgerieben. Während auf der Projektionswand links und rechts Lichterschemen von Autos vorbeirasen und die große Freiheit signalisieren, hockt sie mit der Schnapsflasche in der Hand und auf Kniehöhe hängender Strumpfhose als menschliches Wrack auf einer Kloschüssel. Hinter ihr ein stilisierter Altar. Es hat nicht sollen sein. Sie ist allein. Von Gott und allen bösen Geistern verlassen. Vielleicht hätte sie eine ganz gute Lehrerin werden können, sinniert sie noch mit leisem Lächeln in ihrem Wäldlerdialekt, während Gundars Äboliņš aus einer Zither sanfte Harmonien streichelt. Bis ihr Leben erlöscht, einfach so.
In den Leberkäsduft, der noch im Raum hängt, mischen sich Bravos und nicht enden wollender Beifall.          jow

Info: „Susn“ steht am 7. und 28. April, jeweils 20 Uhr, wieder auf dem Spielplan. Leider sind die Aufführungen ausverkauft; obwohl die Inszenierung vor sage und schreibe sieben Jahren Premiere hatte. Eventuell gibt’s noch Karten an der Abendkasse.

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