Der lange Weg der Erkenntnis Empfehlung
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Diesem Manne kann nicht mehr geholfen werden. Ödipus (Devid Striesow) greift sich an den Kopf ob all der düsteren Ungereimtheiten..
Fotos: Monika Rittershaus
Dieser Ödipus hat von Anfang an schlechte Karten. Er kann nichts für sein Elend und jenes, das er anrichtet. Es ist von Anfang an vorbestimmt. Der Wahnsinn an sich.
Mit ausgelöschtem Augenlicht steht der Ödipus des Devid Striesow am Ende eines an die Nieren gehenden Theaterabends der „Anthropolis“-Reihe auf der Bühne des Hamburger SchauSpielHauses. Bis dieser von Laios und Iokaste ausgesetzte Sohn jedoch das ganze Desaster seiner Existenz erkennt, muss er einen langen Weg der Erkenntnis gehen. Die wieder von Roland Schimmelpfennig bearbeitete und von Karin Beier einmal mehr bestechend inszenierte Tragödie von Sophokles beginnt mit einem Monolog über das Orakel von Delphi. Ist Apollon der Gott, der alles steuert? Verantwortlich für die Katastrophe, die dem Menschen seine Unzulänglichkeit vor Augen und ihn dadurch zum Gott zurückführt.
Zum Räsonieren setzt sich in dieser Inszenierung Karin Neuhäuser als Priesterin auf einen Sandhaufen am Bühnenrand. Ganz pragmatisch, illusions- und nahezu emotionslos kommentiert sie das ungeheuerliche Geschehen. Ein Geschehen, das zeitlos gegenwärtig ist. Das signalisiert schon die Kleidung der Protagonisten.
Das Orakel und der Seher Teiresias prophezeien Ödipus, was da auf ihn zukommt. Der will es nicht glauben, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Aber vielleicht ist doch etwas dran an den sibyllinischen Sätzen. In diesem Zwiespalt zeichnet Devid Striesow den Ödipus als einen von Angst erfüllten Choleriker. Ein kluger Kopf, in seiner überheblichen Selbstgerechtigkeit jedoch kein Sympath. So einer als Retter von Theben? Schon von seiner Anmutung her ist man als Zuschauer skeptisch. Der Schreibtisch an dem er Platz nehmen wird, ist symbolträchtig auf Sand gebaut. Seine Wahrheit wird sich als Trugbild erweisen. Die Wirklichkeit ist erbarmungslos. Letztlich zum Nachdenken über sich selbst gebracht, tritt er in einen Dialog mit dem zweigeteilten großen antiken Chor, der hoch in den Theaterrängen positioniert ist.

Iocaste (Julia Wieninger) umarmt ihren vom Schicksal geschlagenen Mann und Sohn Ödipus (Devid Striesow).
Dieser von Devid Striesow im Wortsinn verkörperte Erkenntnisprozess steht im Zentrum der Aufführung. Wie sich in der durch den Seher Teiresias (Michael Wittenborn) angestoßenen Erinnerungstortur ihm allmählich die persönliche Schuld eröffnet, ist großes Theater. An Krücken schon schleppt sich der stolze Mann über die Bühne. Die finale Ent-Täuschung bringt das von Ödipus angeordnete Erscheinen des Hirten, der ihn nicht ausgesetzt hat, und dem Boten aus Korinth. Ihm wird klar, dass er seinen Vater erschlagen und seine Mutter geheiratet hat. Trost kann er bei ihr keinen mehr finden. Iocastes (Julia Wieninger) blutrote Bluse verweist schon auf die blutenden Augen des Mannes und Sohnes. Schlimmer geht’s nicht.
So viel Verblendung kann man nur mit Blendung heilen. Augen, die so Ungeheuerliches gesehen haben, haben genug gesehen. Blind und blutend schleppt er sich auf Krücken ins Dunkel, vorbei an dem Stierkörper als Zeus-Symbol, mit dessen Verschwinden im Meer, mit Europa auf dem Rücken, einst alles begann. Da muss das Publikum erst durchatmen, bevor es zu lang anhaltendem Beifall ansetzt.
Wolfgang Nußbaumer
(11.10.2025)