Die Herrscherin der Bühne Empfehlung
- geschrieben von -uss
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Lina Beckmann beherrscht als Laios die große Bühne.
Foto: Thomas Aurin
Schwarze Tränen auf grauem Grund. Im Vordergrund liegt der Stierkörper auf der weiten Bühne des Hamburger SchauSpielHauses. Dazu eine kleine Mauer aus weißen Steinen.
Der ausgedehnte Spielort für Lina Beckmann als „Laios“. Sie beherrscht ihn von der ersten Sekunde an.
Nach Prolog und Dionysos fesselt einen der weitere Teil der „Anthropolis“-Saga in den Theatersessel. Atemlos lauscht man, wie diese großartige Erzählerin den Text von Roland Schimmelpfennig in verbale Handlung umsetzt. Sie verkörpert nicht nur den König, sondern auch den betagten Sprecher der Bürger von Theben. Das Kontrastprogramm in einer überragenden Person. Sie erzählt und spielt im permanenten Rollenwechsel.
Bevor sich die Sphinx, die Vogelfrau am Himmel, mit ihrer grellen Stimme in den Köpfen der Thebaner einnistet, beginnt die Tragödie wieder mit einer augenzwinkernden Abwägung dessen, was sein könnte oder auch nicht, als Laios mit dem jungen Chrysippos aus der Verbannung ins von dem Zwitterwesen bedrohte Theben zurückkehrt. Doch rasch bleibt einem das Lachen im Halse stecken, als die Erzählerin Ernst macht. Die Fiktion wird zur ausweglosen Bühnenrealität.

Der Stierkopf im Schoß von König Laios (Lina Beckmann). Die Vergangenheit im Griff? (Foto: Monika Rittershaus)
Mit einer Halbmaske im Gesicht lässt Lina Beckmann einen alten Mann für den politischen Rat von Theben sprechen, der durch eine Reihe von antikisierten Häuptern repräsentiert wird. Gebrechlich und zugleich sehr präsent. „Allein die Vernunft macht uns zu freien Menschen.“ Wer definiert jedoch, was vernünftig ist. Und was ist Freiheit? Dass Laios oder wer auch immer, auf jeden Fall Lina Beckmann, auf einer Drehleier eine kleine Melodie spielen kann? Ein Hauch von Poesie in Zeiten des Wahnsinns, der mit kriegerischem Getöse aus der Gegenwart hereinbricht. Während die Bürger Thebens auf ihren König warten.
Schimmelpfennig klopft den Mythos mit Beckmanns Hilfe auf seine interpretatorischen Möglichkeiten ab. Die Spielwiese, die sich daraus für die Schauspielerin ergibt, könnte gar nicht groß genug sein für diese singuläre Darstellerin. Sie schleppt den Stierkörper über die Bühne (der Mohr hat seine Schuldigkeit getan), streicht mit irrem Blick an den schwarzen Tränen entlang, tigert auf allen Vieren über die Bretter, weist mit schwarzumränderten, wissenden Augen nach oben, wo die Sphinx lauert. Beckmanns Laios erzählt die Geschichte, wie sie in „Ödipus“ und „Iocaste“ ihre wahnsinnige Konsequenz finden wird, als zunehmend schauriger werdendes Kammerspiel. Was für ein dramatisches Erlebnis!
Wolfgang Nußbaumer
(10.10.2025)