Wie sich das Schauspiel hinterfragt Empfehlung
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Hendrik Höfgen (Thomas Schmauser) in seiner Lieblingsrolle, dem Mephisto.
Fotos: Armin Smailovic
Was für ein Theater im Theater. Und das zuschauende und vor allem zuhörende Publikum mittendrin. Eine Schicksalsgemeinschaft in Jette Steckels Inszenierung des „Mephisto“ an den Münchner Kammerspielen.
Grandios, wie die Schauspielerinnen und Schauspieler den hellsichtigen Text von Klaus Manns Roman auf die Bühne bringen. Ambivalent bis in den letzten Buchstaben. Das macht den unnachahmlichen Reiz dieses Spiels im Spiel aus.
Wo die Sprache dermaßen wortgewaltig den Ton angibt, braucht es keine mitspielende Kulisse. Florian Lösche genügen einige rechteckige Elemente, die von den Akteuren selbst umhergeschoben werden, um den Raum zu strukturieren. Bei Bedarf kommt noch etwas Mobiliar hinzu. Ein Tisch, auf dem diverse Trinkflaschen abgestellt werden können; ein Schreibtisch als Symbol der Macht, zwei Sessel für das vertrauliche Gespräch. Viel Platz also für die Schauspieler, um in diversen Rollen zu brillieren.
Das Ganze ist ja zunächst nur eine Probe, in der sich das Theater selbst auf die Schippe nimmt. Es beginnt mit einer kurzen, unsäglich schlechten „Hamlet“-Sequenz, die den Intendanten schon maßlos nervt. Anschließend diskutieren die Schauspieler über ihre Situation vor der Folie der aktuellen Weltlage. Immer unter der Vorgabe, dass sie Schauspieler spielen. Also sich selbst. Wie ist ihr Selbstverständnis? Die Antwort entwickelt sich in ihren Proben für die Aufführung des „Mephisto“ spielerisch. Ein Hochgenuss, ihnen dabei zuzusehen. Der bärenhafte Martin Weigel beharrt als Otto Ulrichs darauf, dass „das revolutionäre Theater uns nicht schaden wird“. Andere sehen das anders. Der Hans Miklas des exzellenten Schlagzeugers Elias Krischke hebt den rechten Arm zum Hitlergruß (wem fällt da nicht Elon Musk ein) und sagt Sätze, die aus dem Mund von Alice Weidel kommen könnten. Geschrieben hat sie Klaus Mann vor 90 Jahren.
Damit beginnt die Zeitreise zurück in die Mitte der Dreißigerjahre, als die Nazis anfingen, mit der unbequemen Kultur kurzen Prozess zu machen. Es beginnt die Zeit des Hendrik Höfgen. Der möchte zwar gerne Shakespeare spielen, macht indes in Berlin in der Rolle des Mephisto Karriere. Thomas Schmauser gibt diesem Mann in vielen darstellerischen Facetten schillernde Gestalt. Sein oder Nichtsein hängt für ihn davon ab, ob er auf der Bühne stehen, ob er Intendant werden kann. Dafür geht er nicht über Leichen, aber er nimmt sie in Kauf.
Ein Opportunist reinsten Wassers. Der Nein-Sager als Ja-Sager, und umgekehrt. Je nach Bedarf für das persönliche Fortkommen. Dafür schickt er sogar seinen dunkelhäutigen Geliebten Julien Martens (Bless Amada) nach Paris. Öffentlich schwul sein geht im deutschen Faschismus nicht. Später wird Höfgen in einer grotesken Szene mit dem gnadenlosen preußischen Ministerpräsidenten ebenso tanzen wie mit Julien. Den Kommunisten Otto Ulrichs haben dessen Schergen da schon zu Tode gefoltert und Hans Miklas umgebracht, weil der aus Enttäuschung die Partei verlassen will.
Es sind bezwingende, betörende, verstörende und zerstörerische Bilder, die auf der Bühne geschaffen werden. Wenn Edmund Telgenkämper sich an der Rampe in der Positur von Hitlers späterem Generalfeldmarschall Hermann Göring aufbaut und das Publikum fixiert, legt sich buchstäblich emotionale Kälte über die Reihen, kollektives Frösteln. Wie bei seinem Zusammentreffen mit Julien. Herrenmensch demütigt schwarze Kreatur. Gottseidank ist das alles nur Spiel. Aber wie war das mit der Remigration 90 Jahre später? Die Zeitebenen überlagern sich und machen transparent, was heute zur Sorge Anlass gibt.

Maren Solty spielt Nicoletta von Niebuhr.
Bombensicherer Verlass ist auch auf die schauspielenden Schauspielerinnen. Wie die drahtige Maren Solty die Flaschen runterwirft, dann auf dem Tisch tanzt und sich in Gestalt von Nicoletta Niebuhr dem Intendanten Höfgen auf den Schoß wirft, das ist souverän, die Widrigkeiten des Lebens perlen an ihr ab. Johanna Eiworth ist einmal die selbstbewusste jüdische Schauspielerin Dora Martin, die nach Amerika geht und dann die einfältige Kollegin und Frau Görings, Lotte Lindenthal. Linda Pöppel gibt überlegt und abgeklärt Höfgens Frau Barbara Bruckner. Dass diese Frau mit diesem Typus Mann keine Zukunft hat, liegt auf der Hand. Als sie ihn allein lässt, ist er endgültig allein.
Bevor jedoch der Vorhang nach dreieinhalb Stunden intensivstem Schauspielertheater fällt, darf’s noch etwas Slapstick sein. Schmausers Höfgen wendet sich ans Publikum, dauernd unterbrochen von dem kleinwüchsigen Erwin Aljukić in einer Art Hitlerparodie. Sie testen, wie sich der österreichische Zungenschlag des Manns aus Braunau am besten aussprechen lässt. Das nützt man gerne zum Lachen, das einem angesichts der Konstellation auf der Bühne jedoch gleich wieder im Halse stecken bleibt. Die Nazis hätten den Kleinen als lebensunwert umgebracht. Ambivalenz bis zum Schluss. Das will wohl Jette Steckel, dass sich jede und jeder seinen eigenen Reim auf diesen Geist der stets verneint, machen muss. Lang anhaltender rhythmischer Beifall im ausverkauften Haus.
Info: Der „Mephisto“ steht in der kommenden Spielzeit 2025/26 wieder auf dem Programm der Kammerspiele.
Wolfgang Nußbaumer
(23.07.2025)