Lüge trifft auf Wahrheit Empfehlung
- geschrieben von -uss
- Schriftgröße Schriftgröße verkleinern Schrift vergrößern
- Gelesen 92 mal

Draußen lastet auf dem Ellwanger Marktplatz brütende Hitze; drinnen in der Basilika herrscht angenehme Kühle. Aber nicht nur deshalb hat eine stattliche Zahl von Zuhörerinnen und Zuhörern am Sonntag den Weg in das Gotteshaus gefunden.
Denn um Jesus geht es in der Parabel „Der Großinquisitor“, die der Intendant des Ulmer Theaters, Kay Metzger, eindringlich vortragen wird.
Fjodor Dostojewski hat sie als deren Mikrokosmos in seinen epochalen Roman „Die Brüder Karamasow“ eingebettet. Der Schriftsteller wirft in dieser „Phantasie“, wie er hinzugefügt hat, einen äußerst kritischen Blick auf die römisch-katholische Kirche als Machtinstrument. Dostojewski lässt deren Repräsentanten, den greisen Großinquisitor, im 16. Jahrhundert in Sevilla auf Jesus treffen. Dieser macht durch einige Wunder das Volk auf sich aufmerksam. Damit bringt er Sand ins so gut geölt laufende kirchliche Getriebe, das sich bis dato der nicht hinterfragten Abhängigkeit seiner Schäflein sich sein konnte. Jesus stört gewaltig.
Wie sehr, macht Kantor Benedikt Nuding mit tiefdumpfen und kontrastierenden hellen Orgelklängen deutlich. In seinen Improvisationen setzt er den Inhalt der Texte immer wieder adäquat in packende Musik um.
Kay Metzger liefert ihm mit seiner Lesung aus dem fünften Kapitel des fünften Buches des Romans reichlich Stoff. Ausgangspunkt sind die im Matthäusevangelium geschilderten drei Versuchungen von Jesus durch den Satan. Er könnte doch die Steine in Brot verwandeln und damit die Hungrigen speisen, wenn er Gottes Sohn sei; oder vom Tempel der Heiligen Stadt springen, weil ihn die Engel auffangen würden. Und er versprach ihm alle Reiche der Welt, wenn er sich vor ihm niederwerfen und ihn anbeten würde. Jesus reagiert kurz und knapp: „Weg mit dir, Satan!“
Dass er 1500 Jahre später in Sevilla wieder Wunder wirkt, passt gar nicht in das Selbstverständnis der Amtskirche. Sie gibt den Menschen jetzt das Brot, die materielle Sicherheit. Mit dem Glauben an das Übernatürliche bindet sie die Menschen, über die sie mangels säkularer Alternativen auch herrscht. Jesus habe diese Mächte einst verschmäht und damit den Menschen, „diesem armen rebellischen Geschlecht“, die Freiheit des Gewissens, der eigenen Entscheidung über Gut und Böse gegeben, die ihnen größte Qual bereite.
Der Inquisitor verrät Jesus, den er in heißer Nacht im dunklen Verlies aufsucht, nachdem er ihn gefangen nehmen ließ, sein Mantra: „Die Menschen werden erst dann frei sein, wenn sie ihre Freiheit zu unseren Gunsten aufgegeben haben.“ Dafür werde man ihnen sogar erlauben, zu sündigen. Indem die „armseligen Wesen“ zur Kirche aufschauten, fänden sie ihr Glück. Der Preis, den die Kirche zahlt, ist die Lüge. Dessen ist sich der Mönch bewusst.
In seinem Rechtfertigungsdrang redet der greise Mann sich den Mund fusselig. Jesus schweigt indes, weil er vermutlich in den Augen seines Gegenübers sieht, wo die Wahrheit steht. Und die Vergebung. Der Gottessohn küsst ihn auf die blutleeren Lippen. Und verlässt den Kerker mit der Aufforderung im Ohr, „niemals, niemals“ wiederzukommen, durch die ihm geöffnete Pforte.
Ein Hoffnungsschimmer in der dunklen Zeit der Inquisition. Und genug Stoff zum Nachdenken über eine Institution, in der die Freiheit des Glaubens immer noch Chefsache ist. Dankbarer Beifall für Kay Metzger, der Dostojewskis Worte mit sparsamer Gestik eindrucksvoll wirken ließ, und für den Organisten Benedikt Nuding.
Wolfgang Nußbaumer
(01.07.2025)