Vielschichtige Familiensaga Empfehlung

Da herrscht noch Eintracht im Familienclan: (v.l.) Tim Bülow (Christian), Rainer Galke (Thomas), Emilia Dorr (eine Bedienstete), Sven Prietz (Bendix Grünlich), Christiane Roßbach (Konsulin Betsy), Celina Rongen (Tony), Anke Schubert (Konsul Jean). Da herrscht noch Eintracht im Familienclan: (v.l.) Tim Bülow (Christian), Rainer Galke (Thomas), Emilia Dorr (eine Bedienstete), Sven Prietz (Bendix Grünlich), Christiane Roßbach (Konsulin Betsy), Celina Rongen (Tony), Anke Schubert (Konsul Jean). Fotos: Thomas Aurin

In jeder Familie ist alles möglich; das Gute und das Schlechte, Vertrauen und Misstrauen, Liebe und Gewalt; Reichtum und Armut, Disziplin und Hedonismus. Exemplarisch hat diese Familienkonstellation Thomas Mann in seinem Debütroman „Buddenbrooks“ beschrieben.

   Dessen Dramatisierung durch John von Düffel hat Amélie Niermeyer in einer rundum gelungenen, zeitnahen Inszenierung auf die Bühne des Stuttgarter Schauspielhauses gebracht.

   Kontraste prägen diese wortgewaltige Familiensaga. Symbolträchtig gleich zu Beginn ins dreistündige Spiel gebracht, wenn die Kinder ausgelassen durch die vom Brutalismus inspirierte und farblich kontrastierend sparsam möblierte düster-klare Bühnenarchitektur von Christian Schmidt tollen. Fortan wird die Geschichte in Rückblenden erzählt, die der sich nur in der Musik wohlfühlende Hanno vom Klavier aus moderiert. Im Roman ist er da schon so mausetot wie sein Vater Thomas, eine tragende Figur in dem 800 Seiten starken Werk, für das Thomas Mann 1929 mit dem Literatur-Nobelpreis ausgezeichnet worden ist. Dieser Buddenbrook wollte das mit dem Getreidehandel groß gewordene Unternehmen wieder dauerhaft in der Kaufmannselite Lübecks installieren.

   In Niermeyers Inszenierung wird dieser Tom durch Rainer Galkes vielschichtige Darstellung ebenfalls zu einer tragenden Figur. Wie er sich vom optimistischen, zielstrebigen Energiebündel zum ratlos resignierenden Opfer der wirtschaftlichen und familiären Verhältnisse wandelt, und dies in seiner massigen Gestalt spürbar werden lässt, ist einfach fesselnd und sehr gegenwärtig.

   Ebenso stark die Tony der Celina Rongen. Von der unbeschwerten, burschikosen Jugendlichen entwickelt sie sich durch zwei unglückliche Ehen hindurch zur emanzipierten, selbstbestimmten Frau. Ganz großes Theater ihre Wutrede, in der sie mit dem Clan und seiner bürgerlichen Fassade abrechnet. Tim Bülow schließlich vervollständigt als flatterhafter, hypochondrischer, unentschiedener Christian als der personifizierte Gegenentwurf zu dem geradlinigen, verantwortungsbewussten Thomas das fesselnde Kontrastprogramm.

   Um das Mit- und Gegeneinander dieser drei Geschwister geht es in dieser Aufführung. Als kongeniales Beiwerk streuen Sven Prietz als überkandidelter Hochstapler Bendix Grünlich, Sebastian Röhrle als sehr handfeste bayerische Frohnatur Alois Permaneder, ein Hopfenhändler, und Reinhard Mahlberg als knallharter, zynischer Bankier Kesselmeyer, der den bankrotten Grünlich schon lustvoll im Regen stehen lässt, noch etwas theatralisches  Salz in die ohnehin schon schmackhafte Suppe. Ein musikalisches Pendant zu Hanno bringt die versierte Geigerin Silvia Schwinger in einer Doppelrolle als Tonys Jugendfreundin und als Gerda, die innere Distanz zur Familie ausstrahlende Frau von Thomas, ins muntere Spiel.

   In die Welt gesetzt haben das Trio Konsul Johann (Jean) Buddenbrook und seine Frau Elisabeth (Bethsy). Anke Schubert verkörpert in der Hosenrolle den Konsul als souveränen, gottesfürchtigen Patriarchen, der zunächst Familie und Geschäfte im Griff zu haben scheint. Beide laufen ihm jedoch aus dem Ruder. Die Bethsy der Christiane Roßbach ist zwar eine treue Gattin und auf das Wohl ihrer Kinder bedachte Mutter; ihr religiöser Tick lässt sie indes hinter dem Rücken von Thomas ein Vermögen für vermeintlich wohltätige Zwecke ausgeben.

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Hanno (Felix Jordan) und seine Schwester Tony (Celkina Rongen).

 

   Nach dem Tod der Eltern ruht die ganze Last der Verantwortung auf seinen Schultern; eine Last, unter der er am Ende im Wortsinne zusammenbricht. Er erkennt, dass er nur das Theater des erfolgreichen Geschäftsmannes und Senators spielt. In einem der intensivsten in der an starken Bildern reichen Inszenierung zieht sich Tom das Toupet vom Kopf und die Maske vom Gesicht. Zuvor schon hat  sein Bruder Christian geschwärmt: „Es ist wunderbar, ein Künstler zu sein“. Was er gerne gewesen wäre. Er scheitert jedoch in allem, was er tut. Er taugt weder zum Lebe- noch zum Geschäftsmann. Diese Ambivalenz von Schein und Sein ist ein weiterer roter Faden, der einen durch diese dichte Inszenierung führt.

   Als Thomas Buddenbrook niedergeschlagen und illusionslos im Wortsinn aus dem Leben stolpert, hat sich die Ironie endgültig verabschiedet. Nach der Pause herrschen auf der Bühne Bitterkeit, Resignation - und der Tod. Pleite auf der ganzen Linie. Nur Tony behält letztlich den Kopf oben. Bemerkenswert schon insofern, als zur Entstehungszeit des Romans Tonys Verhalten nicht dem traditionellen Frauenbild der betuchten bürgerlichen Kreise entsprach.

   „Es ist nicht richtig hier“, stellt das allgegenwärtige Dienstmädchen fest - und kündigt. Zuvor hat sie permanent die Betonwände abgefegt, als wolle sie im riesigen und inzwischen viel zu großen Haus für Klarheit sorgen. Der sanfte, kränkliche Hanno, dessen Zufluchtsort das Klavier ist, zieht ins Goldschnittbuch der Familienchronik zwei finale Linien. Er hat entgegen den Erwartungen seines Vaters keine Ambitionen, die Buddenbrooks auferstehen zu lassen.

   Als der Vorhang fällt, herrscht kurz berührte Stille; dann mischen sich in den reichen Beifall etliche hoch verdiente Bravo-Rufe.

   Info: Die nächsten Aufführungen der „Buddenbrooks“ finden am Mittwoch, 2. und am Samstag, 5. Juli, jeweils um 19.30 Uhr statt.

Wolfgang Nußbaumer      

(23.06.2025)                

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