Am Anfang war das Wort Empfehlung

Nicolas Ofczarek nimmt uns mit hinaus in die bizarre Natur österreichischer Befindlichkeit. Nicolas Ofczarek nimmt uns mit hinaus in die bizarre Natur österreichischer Befindlichkeit. Fotos: Tommy Hetzel

Am Anfang war das Wort. Und das Wort war bei Thomas Bernhard. Und das Wort ist durch ihn Sprache geworden und im Mund von Nicolas Ofczarek gelandet.

   Dort ist die Sprache zur Sprechkunst geworden. „Holzfällen“ am Schauspiel Stuttgart. Und die Musik spielt dazu. Was für ein Erlebnis.

   Thomas Bernhard hat Österreich im Allgemeinen und Wien im Besonderen in seiner bitterbösen Suada im Visier. Weil alle scheinheilig sind, ist ihm erst recht nichts heilig. Weshalb er über die Schickimickigesellschaft, die sich zum „künstlerischen Abendessen“ beim Ehepaar Auersberger einfindet, nach Herzenslust ablästert. Natürlich nicht er, sondern sein alter ego, der Icherzähler, der im Ohrensessel Platz genommen hat, um die feine Gesellschaft zu beobachten.

   Eigentlich ist dieser Sessel ein Hochsitz, von dem aus der Gast seine Giftpfeile abschießt. Ausgangspunkt für diese treffsichere Jägerei ist ein trauriges Schicksal. „Dass sich die Joana aufgehängt habe“, lässt ihm keine Ruhe. Ganz Bernhard, wiederholt er diesen Sachverhalt leicht variierend immer wieder. Ob sie „die Wiener Gesellschaftshölle“ in den Tod getrieben hat? Das österreichische Panorama, das der Mann im Ohrensessel ausbreitet, ist jedenfalls nicht geeignet, in Lebenslust auszubrechen. Viel zu viel „verheerende Dummheit“.

   Da sitzt er also in seinem Sessel, beobachtet die Gäste, die auf dem Weg zum Speisezimmer alle an ihm vorbei müssen - und wartet mit ihnen auf den entscheidenden Gast; den Burgschauspieler. Anlass genug, sich die „Burg“ vorzuknöpfen, die Wiener Theaterinstitution schlechthin. Wenn auf diese Zielscheibe des Spotts ausgerechnet ein Mann wie Nicolas Ofczarek die Bernhardschen Pfeile abschießt, hat das seinen besonderen ironischen Reiz. Immerhin gehört er seit Jahrzehnten zur ersten Riege des Hauses. Er weiß also, wovon er spricht.

 

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Nicolas Ofczarek und die Musicbanda Franui - was für ein überragendes Gespann.

 

   Wie er spricht, ist das reine Vergnügen. Leicht distanziert, und gleichzeitig ganz nahe dran. Kein Wort möchte man versäumen in diesem Monolog. Die feinen Nuancen in Ironie und Spott, die unmerkliche dramatische Zuspitzung hin zur Kartoffelsuppe „um Dreivierteleins in der Nacht“. Kartoffelsuppe um diese Zeit. Der Herr Auersberger wird sie ohnehin nicht mehr zu sich nehmen, weil er inzwischen total besoffen ist. Er wird auch den Burgschauspieler nicht mehr wahrnehmen, der zu später Stunde doch noch eintrifft, und mit sonorer Seriosität in der Stimme an der Unterhaltung teilnimmt. Diese eskaliert, weil eine Dame am Tisch gegenüber dem „Burg“-Herrn penetrant insistiert.

   Irgendwann wird dem Mann im Ohrensessel das alles zu viel. Er macht sich vom Acker, geht hinein in die Stadt. Warum hat er überhaupt dieser Einladung Folge geleistet, zu dieser Gesellschaft, die er so sehr verabscheut. Gehört er womöglich selbst dazu? Der Abscheu vor sich selbst wird sein Begleiter.

   Was dieses Wiener Gastspiel zu einer besonderen Melange macht, ist die Musik der Musicbanda Franui. Das Ensemble, das schon dem „Hotel Savoy“ im Schauspielhaus die musikalischen Glanzlichter aufgesetzt hat, begleitet, interpretiert und schreibt den Bernhardtext unter der Leitung von Andreas Schett in treffsicherer Klangsprache fort. In diesen Tagen legt die Banda zusammen mit Nicolas Ofczarek noch in Bochum und Berlin die Axt an Thomas Bernhards epochalen Monolog.

Wolfgang Nußbaumer 

(05.03.2025)     

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