Nachtdunkel - und doch so nah Empfehlung

Beckmann (Simon Löcker) und "Der Andere" (Anke Schubert). Beckmann (Simon Löcker) und "Der Andere" (Anke Schubert). Fotos: Julian Baumann

Gott ist tot. Mausetot. Zumindest bei Wolfgang Borchert. Mausetot insofern, als er der Gott ist, an den keiner mehr glaubt. Wie Beckmann, der aus Sibirien zurückkehrt ins zerbombte Hamburg. Und draußen vor der Tür bleibt.

   Als Relikt einer jungen Vergangenheit, die von den Überlebenden in den Trümmern intensiv verdrängt wird. Nicht von allen. Das ist vielleicht die einzige Tatsache in der Inszenierung von Sapir Heller am Schauspielhaus Stuttgart, die optimistisch stimmen kann in diesem Kriegsfolgendesaster.

   Mit einem klugen Kunstgriff schlägt die junge israelische Regisseurin die Brücke zur Gegenwart. Sie stellt dem Stück einen Prolog voran, in dem ein junger Mann nach seiner Vergangenheit sucht. Nach der Erklärung, warum sein Großvater in der Elbe den Tod gesucht hat. „Der junge Mann auf der Brücke springt in die Vergangenheit“, schildert das Programmheft.

   Was folgt ist bestes Theater, folgerichtig durchdacht selbst in seinen surrealen Aspekten. Besetzt mit einem eindreiviertel Stunden lang fesselnden Ensemble, das in einem punktgenau passenden Bühnenbild (Valentina Pino Reyes) agiert. Ein riesiger Adler mit goldenem Kopf dominiert die Bühne. Angelegt sind seine Schwingen schwarz; ausgebreitet golden. Dann geben sie eine kleine Guckkastenbühne frei, auf der sich jener Teil des Geschehens abspielt, der Beckmann hoffnungsvoll in die Zukunft blicken lässt. Blendwerk, denn im Zeichen des Reichadlers musste er in den Krieg ziehen. Und der Bundesadler erweist sich letztlich als Schimäre.

   Sapir Heller hat die Abfolge des Stücks umgebaut. Das Vorspiel mit dem Dialog zwischen dem Beerdigungsunternehmer, dem Tod, der alle Hände voll zu tun hat, und Gott, der dem Tod das Geschäft überlässt, geschieht wie ein Hammerschlag. Durch eine Seitentür knallt der Tod in Gestalt von Sebastian Röhrle in den Zuschauersaal. Auf einen Schlag ist das Publikum Teil des Geschehens. Man sitzt hier wohlig warm, während auf der Bühne zerstörte Städte aufgezählt und besungen werden, von Dresden bis Kiew. Wem fällt da nicht der durch Donovans Version zum Hit gewordene Song vom „Universal Soldier“ ein.

   Ohnehin setzt die Regisseurin auf die emotionale Kraft der Musik. Live dargeboten und komponiert von Juri Kannheiser und Alexander Vicar. Als Kontrast zum tieftraurigen Geschehen schärfen die Songs als Revueelemente dessen Wahrnehmung. 

   In Beckmanns Augen ein Massenmörder, hat sich der Oberst bereits wieder gut eingerichtet im normalen Leben, ein jovialer Verdränger im Göringhabitus. Wie Simon Löcker die Kriegsgräuel schildert, das Sterben auf den Schlachtfeldern beschreibt in einem sachlichen Ton, hinter dem das Grauen seine Fratze zeigt, das frisst sich unter die Haut, nistet sich ein in der Erinnerung.

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Vor der Showbühne singt der Oberst (Sebastian Röhrle), neben ihm liegt Beckmann (Simon Löcker) im roten Mantel, während hinter ihm Boris Burgstaller, Teresa Annina Korfmacher und Tim Bülow posieren.

 

   Dass Tod und Oberst in Gestalt von Sebastian Röhrle derselbe Schauspieler darstellt, ist auch eines der symbolischen Ausrufezeichen dieser Inszenierung. Das lässt sich fortsetzen in der Gestalt des Kabarettdirektors, der noch als Elbe und Einbeiniger in Erscheinung tritt. Hier verweigert Tim Bülow mit windelweicher Arroganz Beckmann die Anstellung („Lernen Sie die Welt kennen“), dort spuckt er als souverän kühle Frauengestalt den Selbstmörder wieder aus („Ich will dein armseliges bißchen Leben nicht“). Beim Direktor hat sich Beckmann mit einem melancholischen Lied über „Das Meer“ und die Wahrheit beworben. „Mit der Wahrheit hat die Kunst doch nichts zu tun“, stellt dieser so lapidar wie falsch fest. Denn, so viel als ein Fazit dieser aufwühlenden Inszenierung, Kunst ohne Wahrheit ist keine.

   Als Tochter des Oberst liefert Teresa Annina Korfmacher mit ihrem Song eine gelungene Revuenummer ab; als Mädchen holt sie den durchnässten, kalten Beckmann („Ich nehme Sie nur mit, weil Sie so naß und kalt sind, verstanden!“) zu sich, und als Frau Kramer erzählt sie ihm vom Schicksal seiner Eltern, die sich in ihrer Wohnung, in der jetzt Frau Kramer lebt, umgebracht haben. Sein Vater habe sich, sagt sie „reichlich verausgabt bei den Nazis“. Deshalb nach dem Krieg Kündigung und keine Pension. Und Beckmann bleibt unbehaust, bleibt draußen vor der Tür. Blickt durch seine monströse Gasmaskenbrille in eine Welt, die nicht die seine ist.

   Bietet nur noch die Elbe ein Zuhause? Wäre da nicht noch „Der Andere“. Der ihn auf Schritt und Tritt als sein alter ego begleitet. Der ihm einen Weg in eine lebenswerte Zukunft eröffnen möchte. Anke Schubert gibt dieser Figur mütterlich-fürsorgliche Gestalt. Denn auf Gott ist kein Verlass. Der irrt als graue Maus (Boris Burgstaller) hin und her. Am Ende lässt ein toter Beckmann nochmals seine traumatischen Erlebnisse düstere Revue passieren, rechnet mit den Protagonisten ab. Wozu soll er leben, für wen, für was. Wo bleiben die Antworten auf seine Überlebensfragen? Sein verzweifelter Appell: „Gibt denn keiner, keiner Antwort???“

   Die Antwort des Publikums ist lang anhaltender Beifall.

   Info: Nächste Aufführung am Samstag, 22. Februar, 19.30 Uhr; Einführung 18.45 Uhr. 

 

Wolfgang Nußbaumer

(21.01.2025)    

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