Phallus nicht im Fokus Empfehlung
- geschrieben von -uss
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„Viel Lärm um nichts“ heißt eine von Shakespeares romantischen Komödien. Darin geht es um allerlei Beziehungsverstrickungen verschiedener Paarkonstellationen. Ob sich die Macher der „Casanova“-Inszenierung an der Stuttgarter Staatsoper davon haben inspirieren lassen?
Hier treten ebenfalls verschiedene Paare auf - und ein Mann, der Probleme damit hat, sich zu paaren. Die Titelfigur. Das Aussehen reicht nicht mehr aus, um bei den Frauen zu landen; er muss sie durch Worte gewinnen. Ein schwieriges Unterfangen in einem Zwitter aus Revue und Operette, mit dem die Stuttgarter eine Spielform aus den „Goldenen Zwanzigerjahre“ wiederbeleben. Wobei sie sich vergleichsweise prüde verhalten. Statt Brüste und Po blank blitzen zu lassen, verpacken sie Casanova und einige Tanzmäuse in fleischfarbene Bodysuits. Der nicht mehr omnipotente Frauenschwarm hat seine Männlichkeit hinter einer Plastikschale versteckt.
Ohnehin steht der Penis nicht mehr im Fokus. Er taugt nur noch zur Persiflage. Symbolisch dafür erscheint der Ex-Schwerenöter wie einst Aphrodite in einer Muschelschale auf der Spitze der von Demian Wohler entworfenen barocküppigen Showtreppe. Zuvor schon ist eine Art Kahn vor den Goldglitzervorhang geglitten, dessen Gallionsfigur ebenso symbolträchtig Seifenblasen pustet.
Gleichzeitig tauchen damit die beiden Gegenspielerinnen des Machismo auf, die doppelte Barberina. Sie werden das Heft des Handelns in die Hand nehmen, räsonieren und kommentieren. Das weibliche Schauobjekt wird zum femininen Intellekt. Darüber können auch die langen Beine von Cassie Augusta Jørgensen als Reminiszenz an die Tiller Girls von damals nicht hinwegtäuschen.
Revue-Operette; das ist weder Fisch noch Fleisch, weder Hai noch Tiger. Es ist Tanzshow mit ein bisschen Handlung. Letztere braucht das Unterfangen, um die Musik ins Spiel zu bringen. Der Alleskönner Ralph Benatzky hat dazu Melodien aus weniger bekannten Operetten von Johann Strauss aufgemöbelt. Viel Forte, wenig Piano dringt aus dem Orchestergraben, wo Cornelius Meister am Pult steht. Das mag Benatzkys kompositorischen Vorgaben geschuldet sein. Nur Michael Mayes stabiler Bariton und Esther Dierkes tragender Sopran haben keine Mühe, sich gegen das Staatsorchester zu behaupten.
Für die ironischen Pointen der Inszenierung sorgt einmal mehr der Staatsopernchor. Die Mobiltelefone gezückt, fotografiert er als Touristentruppe das Casanova-Monument, was das Handy hergibt. In goldfarbenen Umhängen verkörpert er später die von Waldstein angeführte Keuschheitskommission. Johannes Kammler gäbe einen prima Sarastro ab. In diesen heil’gen Hallen kennt man indes die Sünde nicht, weshalb mit dem hohen Priester der Sittlichkeit nicht gut Kirschen essen ist.
Letztlich steht die Kommission auf verlorenem Posten, weil die Lust an der Lust obsiegt. Optisch verdeutlicht durch eine endlose Schlange aus weißen Spermaballons, die sich aus Casanovas Körpermitte ergießt. Warum sich darin dann der Opernchor suhlt, ist ebenso unerfindlich wie manches andere. Barberina zitiert vermutlich Sapphos Liebeslieder, um die Inkarnation des ewig Weiblichen zu postulieren, das uns in diesem Fall hinan- und nicht hinabzieht. Nachzulesen auch im Programmheft. Die Gegenposition zum Casanova-Kult als Auslaufmodell. Das wirkt schlichtweg aufgesetzt. Als ob man dem platten Plot noch eine signifikante Metaebene verpassen müsste.
Ob die Revue mit dem Aufmarsch der Kommission tatsächlich ein Ende hat? Wohl nicht. Man wird noch tagesaktuell, zitiert Grüne und Rechte. „Mannhaft werden, bedeutet wehrhaft werden“, erfährt das Publikum. Prompt marschiert eine Truppe auf, die als Kopfbedeckung goldfarbene Patronenhülsen trägt. Ist halt Revue. Bevor Casanova abgeht, ist noch nachzutragen, dass sich Laura und Hohenfels das Eheversprechen geben („Triumph, Triumph! du edles Paar! Besieget hast du die Gefahr!“, frei nach Mozart), auch der Rest mit Trude (Stine Maria Fischer), Helene (Mara Guseynova), Costa (Elmar Gilbertsson), Menuzzi (Kai Kluge) und Dohna (Florian Hartmann) die Irrungen und Wirrungen übersteht und Casanova den Nachen nach Charons Art in die Unterwelt steuert. Ein Ritter von der wahrlich traurigen Gestalt. Dazu passt das Lied auf den Karneval in Venedig mit dem Opernchor. Ganz in Schwarz.
Viel Beifall für die Gesangssolisten, die vorzüglichen „Comedian Harmonists“ mit schon erwähnten Sängern, den Staatsopernchor und den stellvertretenden Chordirektor Bernhard Moncado sowie für das Staatsorchester unter Cornelius Meister; in den Beifall für das Regieteam mischen sich etliche Buhs. Ein Zuschauer murmelt etwas wie „Heilsarmee“. Unberührt lässt dieser „Casanova“ das Publikum jedenfalls nicht.
Info: Nächste Aufführungen am 28. und 30. Dezember sowie am 3. und 7. Januar 2025. Karten unter www.staatsoper-stuttgart.de
Wolfgang Nußbaumer.
(27.12.2024)