Bitterböses Kammerspiel Empfehlung

Bei diesem Essen bleiben einem mitunter die Bisse im Halse stecken. (v.l.) Wiebke Mollenhauer, Ulrich Matthes, Maren Eggert und Bernd Moss. Bei diesem Essen bleiben einem mitunter die Bisse im Halse stecken. (v.l.) Wiebke Mollenhauer, Ulrich Matthes, Maren Eggert und Bernd Moss. Fotos: Thomas Aurin

„Das wird heute kein entspannter Abend“ stellt Claire Lohmann zu Beginn des Stücks „Das Dinner“ am Deutschen Theater Berlin fest. Das gilt nicht nur für die beiden Ehepaare am Restauranttisch, sondern auch für das Publikum.

   Denn verhandelt wird der Mord an einer Obdachlosen, verübt durch die minderjährigen Söhne. Der von Paul Lohmann in Gestalt von Ulrich Matthes moderierte Vertuschungsversuch offenbart nicht nur einen ätzenden Blick in das Innenleben einer gutbürgerlichen westeuropäischen Gesellschaft; er stellt auch die Frage nach der Würde des Menschen. Was sind wir bereit zu tun, um unser Gesicht zu wahren; das ist die Frage an uns alle.

   Deren Beantwortung entwickelt sich in einem asymmetrischen virtuosen Diskurs zwischen erlesener Vorspeise und Dessert. Eine analoge Paradoxie, wenn der Kellner als gelungene Parodie auf abgehobene Restaurantkultur die Speisen erläutert und sich die Tischgesellschaft parallel dazu in die Haare gerät. Den Schein zu wahren, gerät zum Desaster. Paul Lohmann als abgehalfterter Lehrer ist in Ulrich Matthes‘ Darstellung ein zynischer Melancholiker mit pseudoproletarischer Gesinnung. Der Gegenentwurf ist sein reicher Bruder Serge Lohmann, der als allzeit bereiter SPD-Politiker Erfolg haben möchte.

   Und die Frauen? Maren Eggert gibt die Claire Lohmann als taffe, rationale Frau, die bereit ist, über Leichen zu gehen. Das heißt in diesem Fall, den Mord als Unfall darzustellen, um Sohn Michel (Carlo Krammling) aus dem Schneider zu bringen. Schlimmer noch: Eigentlich sei die Obdachlose ja die eigentlich Schuldige, weil sie so rücksichtslos in einer Sparkassenbox übernachtet hat, wo die Jugendlichen nur Geld abheben wollten.

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   Bei dieser Interpretation will wiederum der Ehrenmann Serge Lohmann nicht mitspielen, den Bernd Moss als sich zwischen aaliger Glätte und aufrechtem Moralisten windende Gestalt zeichnet. Er will sogar zurücktreten. Problem dabei: Begründet er diesen Schritt mit der Tatbeteiligung seines Sohnes, kommt die Wahrheit ans Licht. Geht also gar nicht. Mit der Moral nach außen und nach innen kann es allerdings auch nicht so weit her sein, wie die unflätigen verbalen Attacken seiner Frau Babette zeigen. Wiebke Mollenhauer spielt sie als hysterische, aufgedrehte Tussi, die mit nichts und niemand zurechtkommen will. Weder mit denn feinen Speisen, noch mit den drei andern. Die zerfleischen sich beim Steak dann gegenseitig im Duo und im Quartett.

   Das ermüdet mit der Zeit ein wenig, weil die Wahrheitsfindung ohnehin auf der Strecke bleibt. Optische Klarheit schafft zumindest die Bühne von Ann-Christin Müller. Durch ein Fenster kann man in die Küche blicken, in die sich der Restaurantbesitzer (Jens Koch) und die Kellner (Andri Schenardi und Carlo Krammling) nach ihren Auftritten zurückziehen. Regisseur András Dömötör hat dieses Dinner als bitterböses Kammerspiel inszeniert, bei dem Ulrich Matthes einmal mehr als prägende Gestalt in Erinnerung bleibt.

Wolfgang Nußbaumer  

(20.11.2024)   

           

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