Prasselndes Pointenfeuerwerk Empfehlung
- geschrieben von -uss
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Von sehr persönlichen Erinnerungen geprägt gewesen ist die 80. „Nacht der Poet:innen“ Donnerstagabend auf Schloss Kapfenburg.
Mitgebracht hat das unwiderstehliche Lästermaul Jess Jochimsen drei junge Sprachkünstler als Beweis, dass die Literatur lebt; nicht nur die komische. Im voll besetzten Saal lesen und rezitieren die junge Slam-Poetin Luca Swieter, das Multitalent Jane Mumford aus der Schweiz und der Hochgeschwindigkeitslyriker Florian Wintels. Beachtlich ihre thematische Bandbreite. Von der Liebeserklärung an ein Brötchen über die Natur der Berge bis zum hinterfotzigen Bittbrief an den Mathelehrer. Da ist für jeden etwas dabei, gerade für die im Saale. Denn für sein Publikum zerbricht sich das Trio ja den Kopf, auch in Buchform. Weshalb man am Ende des Abends feststellen kann, dass nicht nur die Wüste lebt, sondern auch das Buch.
Bei der Lektüre zuhause kann jeder sein Lesetempo selbst bestimmen. Die drei auf der Bühne haben es jedoch eilig. „Den letzten Satz bitte nochmals“, verlangt denn auch eine Stimme aus dem Saal. Andererseits hat das Tempo beim Humor durchaus Sinn. Es könnte sonst sein, dass der Witz, die Pointe im Wortsinn auf der Strecke bleibt. Das geht zwar manchmal auf Kosten der Verständlichkeit; aber der Bäcker hat so viele Brötchen, die Schweiz so viele Berge und Bad Bentheim so viele Dumpfbacken, dass es nicht auffällt, wenn mal vortragsmäßig etwas fehlt.
Doch der Reihe nach. „Nacht“-Gastgeber Jess Jochimsen verrät, was ihm an der Fußball-EM am besten gefallen hat. Dass Regierungschef Viktor Orbán gleich nach dem Ungarnspiel wieder nach Hause gefahren ist. Wenn der Mann weg ist, kann man tatsächlich mal einen Abend ohne Krieg und Krisen genießen. Aber nicht ohne kratzige Pointen. Mit denen spickt die kesse Luca Swieter nicht nur ihr Brötchengedicht, sondern auch ihre Erinnerung als studentische Kellnerin in einem Restaurant in Aachen. 2015 war sie beim NRW-Slam in Münster zum ersten Mal dabei. Inzwischen ist sie fit in „mentaler Gesundheit“, weshalb sich Jochimsen, der aus seinem depressiven Tagebuch liest getrost in ihre Obhut begeben könnte. Aber Vorsicht, ihr Gedicht über zwei Männer, die keine Tochter haben wollen, signalisiert, dass er vom Regen in die Traufe geraten könnte.
Florian Wintels hat es faustdick hinter den Ohren. Hinten sitzen Jess Jochimsen, Jane Mumford und Luca Swieter.
Die Kabarettistin Jane Mumford räumt mit einem Klischee auf. Die Schweizer hätten die Natur. „Das ist falsch“, sagt sie, mit Ausrufezeichen. „Sie haben die Ordnung.“ Im Übrigen erwarten einen Schnee, Regen und Hagel und bestenfalls drei Wochen schönes Wetter. Deshalb in die Schweiz? Sascha Bendiks singt zur Gitarre einen Cohen-Titel, bevor Jess Jochimsen bitterböse und liebevoll zugleich das Wesen eines Rummelplatzes analysiert. Zwischen Autoskooter fahren und Lose kaufen erfährt das geneigte Publikum, wer die Zuckerwatte, das süße Nichts, erfunden hat. Ein Zahnarzt!
Dass das gesellschaftliche Leben auf dem Land vor allem aus Saufen besteht, hat Florian Wintels beobachtet. Für sein Märchen über die Pflanzen, die den Menschen zum Feind erklären erhält er nicht nur vom Klatschmohn Beifall. Religion und Verschwörungstheorie bringt Jane Mumford virtuos unter einen Hut. Wie sie die Faktenlage checkt, dürfte bei strenggläubigen Katholiken Schnappatmung verursachen.
Wer schon mal an einer Gleichung mit x gescheitert ist, und dafür von seinem Mathelehrer einen verständnislosen Blick geerntet hat, kann Florian Wintels ironiesatte Philippika Wort für Wort nachvollziehen. Zu Ende geht der von SWR Kultur für zwei Folgen aufgezeichnete Abend mit dem von Sascha Bendiks zur E-Gitarre interpretierten „Tennessee Waltz“.
Zu Beginn hatte Akademiedirektor Moritz von Woellwarth das Publikum begrüßt und die nächsten Veranstaltungen im Kulturschloss angekündigt.
Wolfgang Nußbaumer
(25.10.2024)