Gefangen in der Abwärtsspirale Empfehlung
- geschrieben von -uss
- Schriftgröße Schriftgröße verkleinern Schrift vergrößern
- Gelesen 559 mal
Franz Biberkopf trägt ein weißes T-Shirt über seinem dicken Bauch. Darauf steht: „Shit happens“. Eines der wenigen Signale auf die Zeitlosigkeit des Stücks in der Dramatisierung von Dusan David Parizek am Schauspielhaus Stuttgart.
Das andere liefert Sylvana Krappatsch als Franzens alter ego: “Hit the road Franz and don't you come back /No more, no more, no more, no more”, stimmt sie den Hit von Ray Charles an.
Zuvor haben Overhead-Projektoren Berliner Schwarzweiß-Silhouetten auf drei große Wände geworfen, die das Bühnengeviert flankieren. Der Puls der Großstadt in den Zwanzigerjahren. Kein guter Platz zum Überleben. Schnitt von der Masse Metropole zum Individuum. Da steht er auf der Bühne; allein zu zweit. Weil in der Brust des ungeschlachten Kerls doch zwei Seelen wohnen. Jene des Brutalos und jene des Menschen, der ein anständiges Leben führen möchte.
Wo möchte Parizeks Inszenierung hin? Zu zeigen, was der Moloch Großstadt mit seinen Bewohnern anrichtet; oder dem Schicksal des Franz Biberkopf nachspüren. Warum es ihm geht, wie es ihm geht. Zunächst verläuft das Geschehen zur aus der Klangwelt von einst und heute destillierten (Kostüme Kamila Polívková) Musik von Peter Fasching auf einer erzählerischen Ebene, transportiert im Dialog. Sylvana Krappatsch bewährt sich mit Berliner Schnauze einmal mehr als energiegeladener Gutmensch, der dem zögerlichen, der ihm angetanen Freiheit misstrauisch entgegenblickenden Mann einige Korsettstangen einzieht. Ein Kunstgriff, der sich bewährt.
Wie sich dieses hässliche Mannsbild auf dem Weg in die selbstbestimmte Freiheit ziert, hat Satirecharakter. Es gibt tatsächlich einiges zum Lachen. Und zum Nachdenken. „Tendenz lustlos, später starke Kursrückgänge“, sagt Franz. Selbst dieser unvermittelte Aktiensprech weist ins kommende Unheil.
Richtig Fahrt nimmt die Inszenierung mit einem Monolog von David Müller auf. Er schildert als Reinhold mit einer distanzierten Eiseskälte das gnadenlose Handeln in einem Schlachthof, dass man fröstelt. Die Schläge auf den Kopf der Schweine, das Ausbluten nach dem Messerstich. Die Tritte auf den Kadaver. Erbarmungslos der Mensch. Die Kreatur zählt nichts. Am Ende landet sie im Fleischerladen. Das Schicksal ist unabdingbar. Menetekel und Symbol zugleich für die Unbarmherzigkeit der herrschenden Verhältnisse. Die bilden sich selbst im Sex ab. Bieberkopf will mit einer ins Bett, für drei Mark. Kann dann aber nicht. Und aus die Maus.
Celina Rongen und David Müller
Er handelt mit Textilwaren, wobei schon die Aufnahme in den Verband der Gewerbetreibenden durch Gottlieb Meck ein bürokratisches Kabinettstückchen ist. Michael Stiller spielt diesen alerten Überredungskünstler ebenso überzeugend wie den sachlichen Erklärer für Frenzens Potenzprobleme, den zackigen rechtskonservativen Kriegsversehrten, den Arbeiter Willi, die Fränze und einen Kompagnon von Biberkopf, der ziemlich mies in dessen Fußstapfen wandelt. Nicht nur Stiller spielt fantastisch; das gilt neben Sylvana Krappatsch ebenso für Rainer Galke, der vom Burgtheater Wien nach Stuttgart gekommen ist, für David Müller und Celina Rongen in verschiedenen Rollen. Insofern ist diese Inszenierung auch ganz großes Schauspieltheater.
Die Sonja der Celina Rongen ist mit ihrer leuchtend gelben Bluse der einzige Farbtupfer in diesem grauen Bühnenbild. Frech und kokett plaudert sie daher, ein Gör, noch nicht mündig aber lebenshungrig. Und dem Biberkopf zugetan. Später wird sie Reinhold bei einem Ausflug in einen tristen Wald ganz unromantisch kaltblütig erwürgen.
In seiner Bühnenfassung des Romans zielt der Regisseur nicht auf das große Drama, die epische Erzählung. Ihm liegt an dem dialogisch geprägten schnellen Schnitt prägnanter Einzelszenen. Sie formieren sich im Ganzen zu einer ausweglosen Abwärtsspirale. Zum ganz persönlichen Drama des Individuums. Am Ende wirft der doppelte Franz Biberkopf die drei hohen Wände um, nachdem er Miezes Leiche gefunden hat. Er dreht endgültig durch und landet in der Irrenanstalt. Wie zu Beginn stehen am Schluss wieder zwei dunkle Gestalten auf der weiten Bühne. Alles auf Anfang.
Info: Weitere Aufführungen So. 29.09., Mo. 07.10., So. 13., Di. 15., Mi. 23.10.; www.schauspiel-stuttgart.de
Wolfgang Nußbaumer
(24.09.2024)