Endstation Frauenpower Empfehlung
- geschrieben von -uss
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1981 stand das frühe Tschechow-Stück „Platonow“ schon einmal auf dem Spielplan der Münchner Kammerspiele. Damals mit illustrer Besetzung. Cornelia Froboess als Sofja; 43 Jahre später die fantastische Wiebke Puls als Generalswitwe. Nicht zu vergessen die weiteren Darstellerinnen und Darsteller.
Damals wie heute ganz großes Theater. In der Inszenierung von Jette Steckel indes durch eine hochaktuelle Brille gesehen mit einem Gewitter an stimmigen Regieeinfällen.
Neu ist die griffige Übersetzung von Ulrike Zemme. Sie geht dem Ensemble locker von der Zunge. Locker ist das passende Adjektiv für diese Aufführung. Zu erleben in dieser Tragikomödie schon zu Beginn, als sich Edmund Telgenkämper und Martin Weigel an der Rampe vor der schwarzen Bühnenwand über das Publikum amüsieren, wo einige noch auf der Platzsuche sind. Die beiden sind ganz entspannte Plaudertaschen. Bis sich eine Saaltür öffnet und Wiebke Puls sich zu ihnen gesellt. Das Spiel beginnt.
Von Anfang an sind die Zuschauerinnen und Zuschauer einbezogen in das Spiel. Jette Steckels Regie unterhält blendend, ohne das Publikum unbeteiligt außen vor zu lassen.
Telgenkämper und Waigel also verwandeln sich im Wimpernschlag in den Gutsbesitzer Glagoljew als zwischendurch brutaal wutschäumenden Kapitalisten und den indifferenten Arzt Triletzki. Alles fließt ganz selbstverständlich ineinander. Reibungslos nicht. Denn was hier anhand der Hauptfigur des Dorfschullehrers Platonow verhandelt wird, signalisiert schon der ursprüngliche Titel des Stücks: „Die Vaterlosen“. Das meint die existenzielle Perspektivlosigkeit; den Tanz auf dem Vulkan, den die Gesellschaft selbst entfacht, um es emotional etwas warm zu haben. Sich im Tanze auf der Drehbühne bewegen werden sich die Gäste später selbst. Schließlich gilt es die Hochzeit des Stiefsohns der Generalswitwe zu feiern. Diese hat jedoch einen Haufen Schulden, weshalb ihr Landgut zwangsversteigert werden soll. Wen kümmert‘s.
Könnte ja ein wunderbares Fest werden; käme da nicht der Spielverderber Platonow in Gestalt von Joachim Meyerhoff in den Saal. Fortan geht es mit dem Spaß bergab, erhält die Komödie ihre tragische Schlagseite. Mit Bravour. Meyerhoff ist der zynische Beobachter, der selbstgefällige Don Juan, der depressive Hamlet, ein ratloses Ich, ein perfides Lästermaul, einer, der die Welt und sich selbst belügt auf der Suche nach -Was? Auf Antworten kann man in Steckels rasantem Bilderbogen lange warten.
Signifikant erweitert wird die Sprache des jungen Tschechow um die Sprache der Bühnen-Bilder von Florian Lösche. Platonow und die Wojnizewa irren besoffen durch einen Wald aus Eisenstangen, den Günther Uecker gebastelt haben könnte, turteln akrobatisch auf zwei Leitern. Schon spaßig dieser sarkastische Hauch von „Sommernachtstraum“. Der Schwerenöter schiebt sich noch kreuz und quer die Eisenstangen durch die Klamotten, dass er aussieht wie der leibhaftige Schmerzensmann. Was ihn nicht daran hindert, mit einer der hohlen Stangen ein paar Flaschen auszusaugen.
Wo ein Wald ist, ist der Jäger nicht fern. Dieser erscheint, einen toten Hasen schwenkend, in Gestalt von Walter Hess als Oberst im Ruhestand Nikolaj Triletzki. Ein komödiantisches Kabinettstückchen wie er sprachlich so zackig daherpoltert.
Shakespeare hätten sicherlich auch die tragischen Aspekte der Inszenierung gefallen, in der die Regisseurin permanent zwischen Spaß und Ernst changiert. Das hält das Publikum zu bizarren Geigenklängen des Musikers Matthias Jakisic satte dreieinhalb Stunden lang in Spannung. Es braucht schließlich seine Zeit bis alle Affären des Lehrers abgehandelt sind. Mit der Generalin, mit Sofja, der frisch angetrauten Frau von deren Stiefsohn und mit der intellektuellen Marja Grekowa (Anna Gesa-Raja Lappe), der Freundin des Arztes. Letzterer prügelt sich deshalb choreographisch durchgestaltet mit ihm.
Trotz aller Entschuldigungsversuche dieses wankelmütigen Gesellen zu viel der Liebschaften für seine Frau Sascha (Edith Saldanha); sie verlässt ihn. Nicht nur sie. Zuvor schon hat die Grekowa in einem Monolog aus der Feder der Schweizer Autorin Katja Brunner juristisch den Stab über ihn und sein Handeln gebrochen und ihn der Pferdedieb Osip (Thomas Schmauser) als allgegenwärtige finstere Gestalt im Auftrag des Gutsbesitzers Glagoljew umzubringen versucht. Am Ende brüllen ihn die betrogenen Frauen Sofja und die Generalin in geballter Frauenpower aus dem Saal. „Mein Leben ist im Arsch“, hatte Platonow schon zu Beginn festgestellt.
Begleitet wird die mit großem Beifall und zahlreichen Bravorufen bedachte Aufführung (am Sonntag, 26. Mai) mit hintersinnigen und zugleich erhellenden Gesprächspartikeln des Dramaturgieprofessors Carl Hegemann mit dem Bühnenbildner Gero Troike als Metaebene.
Wolfgang Nußbaumer