Nichts ist gewaltiger als der Mensch Empfehlung

Lilith Stangenbergs Darstellung der Antigone geht tief unter die Haut. Lilith Stangenbergs Darstellung der Antigone geht tief unter die Haut. Fotos: Thomas Aurin

Ein nachtdüsteres Stück hat Karin Beyer mit der „Antigone“ von Sophokles in der Bearbeitung von Roland Schimmelpfennig auf die Bühne des Deutschen SchauSpielHauses Hamburg gestellt.

   Starke Bilder, starke Dialoge, schmerzhaft in der Ausweglosigkeit, der Unvereinbarkeit der Positionen. Großartig erschütternd.

   Alltag in Theben. Im Bühnenhintergrund sitzt vor schwarzem Tuch die Herrscherfamilie auf schwarzem Gestühl beim Essen. Im Vordergrund die Reste einer Mauer aus weißen Kreidequadern. Weiß bedeckt der Boden mit feinem Staub. Ihn fegt Antigone. Warum? Wohin? Symbolisiert er das Leichentuch, das sie am Ende bedecken wird. Oder die Erde, den sie über den Körper des toten Bruders streuen will, obwohl darauf die Todesstrafe durch Steinigung steht. Ihr Problem: Während der eine Bruder als Verteidiger Thebens im Kampfe stirbt und ein Ehrenbegräbnis erhalten wird, gehört der andere zu den Angreifern. Er soll, so Kreons Wille, im freien Feld verrotten. Das jedoch ist mit Antigone nicht zu machen. Und so kommt es, wie es kommen muss. Das individuelle Ethos kollidiert mit der Staatsräson. Wer deren Gesetz nicht achtet, stellt sie selbst in Frage - und damit die Zukunft der Stadt als deren bauliche Manifestation.

   Aus diesem Konflikt hat die Intendantin ein ungemein fesselndes Kammerspiel destilliert. Ernst Stötzner verkörpert den Herrscher Kreon als unerschütterlich selbstbewussten Mann mit durchaus väterlich-jovialen Zügen. Man fragt sich, wie kann der so grausam sein? Er kann. Weil sein Recht über allem steht. Das allerdings will und kann die Antigone der Lilith Stangenberg nicht akzeptieren. Wie sie kämpft und ringt mit Worten und Körper im Disput mit Kreon dem Wahnsinn nahe ist ein überwältigendes Naturereignis, das tief unter die Haut geht. Die rot überschminkten Lippen unter dem wirren Haar wie eine Wunde, die nach Heilung schreit.

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An Ernst Stötzners Kreon prallt auch der Apell seines Sohnes Heimon (Maximilian Scheidt) ab.

 

  Doch es gibt keine. Sie tanzt mit einem Gerippe den wortwörtlichen Totentanz, schwingt einen schweren roten Umhang mit der Kraft der Verzweiflung durch die Luft, wirbelt den weißen Staub auf; ein Akt der Ausweglosigkeit. Frösteln macht der Gegensatz dazu, als Kreons Berater Phylobasileus in immer beherrschter Gestalt von Ute Hannig den totenblassen nackten Leichnam nach vorne trägt. Antigone hat sich in ihrem Felsenverlies erhängt, weil sie ihren Bruder nicht der Erde anvertrauen durfte. Wie eine Pieta trägt Hannig den Körper - die personifizierte Anklage an den Herrscher. „Gewaltig ist vieles, aber nichts ist gewaltiger als der Mensch“, stellt sie wie einen Schlussstrich ziehend fest.

   Zu spät alles. Zuvor haben ihre Schwester Ismene (Josefine Israel) und sein Sohn Haimon (Maximilian Scheidt) vergeblich versucht, den Vater umzustimmen: „Du bist ein Tyrann!“ Erst die Prophezeiung des blinden Sehers Teiresias (Michael Wittenborn voll unantastbarer Würde), dem die Beraterin bescheinigt, sich noch nie geirrt zu haben, bringt Kreon zur Vernunft. Zu spät. Er sitzt aller Überzeugungen widerlegt leeren Blickes an einem Tisch; auf dem Podest aus weißen Kreidesteinen kauert - eine Skulptur des Todes - der nackte Leib Antigones.

  Im Epilog zoomt der Seher die Vergangenheit in die Gegenwart. Keine guten Aussichten. Oder doch? Seine Prophezeiung zumindest ist offen - und der anschließende Beifall mehr als herzlich.

     Info: Nächste Aufführungen Sonntag, 18.02., 21 Uhr; Donnerstag, 14.03., 19.30 Uhr; Montag, 08.04., 19.30 Uhr; Kartenhotline: +49 40 248713

 

Wolfgang Nußbaumer

(04.02.2024)      

      

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