„La Fest“ - ein Fest für das Leben Empfehlung

Diana Haller feiert ein Fest. Diana Haller feiert ein Fest. Fotos: Matthias Baus

Was für ein Fest für Augen und Ohren. Was für ein Fest für Herz und Verstand, für das Leben. „La Fest“ in der Stuttgarter Oper. Der Tänzer Eric Gauthier hat mit dieser Inszenierung im Geiste des Barock ein Meisterwerk geschaffen.

   „Musiktheaterkreation“ steht auf dem Programmzettel. Mit Arien, Ensembles, Chören und Tänzen. Doch bevor es losgeht, begrüßt der charmante Gauthier ganz leger und entspannt die Besucherinnen und Besucher im voll besetzten Opernhaus. Tänzer sei er, Vater von drei Kindern „und seit heute Abend Opernregisseur“, stellt er sich vor. Sein Gefühl an diesem Abend? „1400 Leute in meiner Küche.“ Entsprechend familiär verläuft der erste Teil des Festes, in dem er die Mitwirkenden vorstellt. Wie den jungen Tenor Alberto Robert. Der gibt dem Publikum gleich Gesangsunterricht. Und 1400 Menschen singen begeistert mit.

   Dieser Gauthier ist ein emotionaler Tausendsassa. Die große Mezzosopranistin des Hauses, Diana Haller, kommt im kurzärmeligen roten Shirt und schwarzer Hose auf die Bühne, um gleich mit der Sopranistin Claudia Muschio ein Duett anzustimmen. Den Bariton Yannis François „entdeckt“ er in der ersten Reihe, bittet ihn auf die Bühne. Auf einem Tisch stehen zwei Becher. Einer mit einer roten, einer mit einer blauen Flüssigkeit. Rot lässt ihn tanzen, blau singen. Natürlich trinkt er beide, tanzt und singt. Das Publikum muss nichts trinken, um ganz trunken im Inneren mitzutanzen. Seine Tanztruppe präsentiert er noch und den aus der Ukraine stammenden Countertenor Yuri Mynenko. Er intoniert ein Lied von John Dowland, das älteste Stück an diesem Abend. Die Sopranistin Natasha Te Rupe Wilson, Alberto Robert und der Opernchor erhöhen mit einem Rameau-Stück zusätzlich noch die Spannung auf das große Fest. Das ist alles so entspannt, so leger. Es wirkt nicht so, es ist so!

   Barock ist Musik. Musik, die bewegt mit Anmut und Kraft - und möglichst ohne Pause. Der australische Dirigent Benjamin Bayl hat für diese Inszenierung ein ihr adäquates Programm zusammengestellt. Von bekannten Komponisten wie J. S. Bach, Campra, Cavalli, Händel, Purcell, Rameau, Steffani, Telemann und Vivaldi, um nur einige zu nennen. Während das Staatsorchester zu Beginn im „Warm-up“ mit Eric Gauthier noch in kleiner Besetzung im Hintergrund agiert, rückt es nach der Pause auf einem Podest in den Mittelpunkt der Bühne. Wucht, wo nötig und Transparenz zeichnen das Orchester aus. Auf dieser Basis können die Sängerinnen und Sänger ihre Arien sicher funkeln lassen.

   Um was geht es? Eine alte Frau hat Geburtstag. Ein mit Kerzen geschmückter Kuchen ruht auf ihrem Schoß. 90 ist sie und gebrechlich. Am Ende ihres Lebens. Das sie Revue passieren lässt in diesem einzigartigen Fest. Tische werden gedeckt und anschließend verhüllt. Die alte Dame entfernt die Tücher, nascht ein wenig - und singt dazu fantastisch. Himmlisch, wie Diana Haller ihre Koloraturen mit Erschreckenskicksern krönt.

   Aufgetragen wird, was fremd und groß ist. Ein Oktopus, ein Tiger, ein Riesenschmetterling. Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung reichen sich wie in Grabbes Komödie die Hand. Wobei die tiefere Bedeutung in diesem Fall nur durch ein intellektuelles Konstrukt zu ergründen wäre. Vielleicht wäre die Hochzeit zwischen der Dame (Diana Haller in einem prächtigen gelben Ballkleid) und einer jungen Frau ein Anlass. Trauung eines lesbischen Paares im Barock? Zu jener Zeit war zwar vieles möglich und als Spaßkultur erwünscht. Aber heiraten?

   Beim Mahle verlangen alle nach dem Oktopus, verführt und beschwingt durch Yuri Mynenkos federleicht hoch intonierte Arie. Der „homo ludens“ darf sich in der „Reise nach Jerusalem“ und beim „Flaschendrehen“ auf die Schliche kommen. Wo die Wahrheit (Truth) gewählt wird, steht die Eifersucht schon in den Startlöchern. Claudia Muschio straft den in einen weißen Dandyanzug gekleideten Yannis François ab, dass es stimmlich die helle Freude ist. „Eifersuchtsexplosion“ steht dazu in dem informativen, illustren Programmheft.

46551_stutt_lafest_hpk_0127.jpg

Louis Buß steuert akrobatischen Breakdance zum Fest bei.

 

   Tänzerische Bewegung gehört zum Barock wie zu Eric Gauthier. Deshalb lässt er ein junges Team über die Bühne fegen bis zum heftig beklatschten Breakdance. Hier paaren sich Anmut, Perfektion und Akrobatik. Doch nicht nur das. Die Choreographie interpretiert das Geschehen auf der Bühne, wo sich die Paare zum Tanze drehen. Auch dabei kann man sich auf den grandiosen Opernchor verlassen. Der kann nicht nur fabelhaft singen, sondern verfügt auch über beachtliche schauspielerische Fähigkeiten. Ihn zu erleben, ist immer wieder ein Genuss.

   Nach dem Tanz kommt zwar nicht der Katzenjammer, sondern eine Portion großer Laubfrösche, die Mynenko verteilt. „Psychoaktive Frösche“ verrät das Programmheft. Worauf die Belegschaft leblos auf den Boden sinkt, nachdem sie an den Fröschen geleckt hat. Weder von den Fröschen noch von den sie Küssenden hat sich einer in einen Prinzen verwandelt. Märchen sind auch nicht mehr das, was sie mal waren…

   Ob sich noch alles zum Besseren wenden wird? Eine kurze Rausch & Rave-Party wird durch ein bedrohliches Getöse jäh beendet. Diana Haller stimmt die ergreifende Schlussarie an. Der Erinnerungstraum ist zu Ende, das Alter hat sie wieder. Ein Kind (Lia Grizelj) bringt ihr den Kuchen mit den Geburtstagskerzen. Und hinter ihr fällt der Vorhang. Deshalb gelten ihr die ersten Bravorufe, bevor sich der Vorhang wieder öffnet, damit auch die Tanzcrew, der Opernchor, die Solistinnen und Solisten und das Orchester mit seinem Dirigenten den Beifallssturm genießen können.

   Info: Weitere Aufführungen unter www.staatstheater-stuttgart.de 

Wolfgang Nußbaumer

(06.12.2023)

    

      

Nach oben

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.