„Erfolg“ - etwas, was sich jeder wünscht

v.l. Michael Wächter, Moritz Treuenfels, Barbara Horvath, Oliver Stokowski, Liliane Amuat, Florian von Manteuffel, Steffen Höld, Valentino Dalle Mura, Thomas Reisinger. © Birgit Hupfeld v.l. Michael Wächter, Moritz Treuenfels, Barbara Horvath, Oliver Stokowski, Liliane Amuat, Florian von Manteuffel, Steffen Höld, Valentino Dalle Mura, Thomas Reisinger. © Birgit Hupfeld Fotos: Birgit Hupfeld

900 Seiten hat der Schriftsteller Lion Feuchtwanger gebraucht, um die Münchner Gesellschaft der frühen 1920er-Jahre zu beschreiben.

   Diese Vielfalt aus Schickimicki, Politikern, Beamten, Normalos und Underdogs. Stefan Bachmann hat daraus zusammen mit der Dramaturgin Barbara Sommer am Residenztheater eine Art Revue destilliert, in der sich Satire und blutiger Ernst die Hand reichen.

   Ihre Protagonisten, die im Roman realen Personen nachempfunden sind, arbeiten sie als Prototypen heraus. Figuren auf dem schmalen Grat zwischen Realität und Künstlichkeit. Daraus ergibt sich eine darstellerische Distanziertheit, die dem historischen Geschehen eine zeitlose Dimension verleiht. Feuchtwangers Roman „Erfolg“ ist offensichtlich schon wieder oder noch immer aktuell. Auch wenn Regisseur Bachmann auf zeitgenössische Anspielungen weitgehend verzichtet. Die in der Inszenierung mitschwingende Selbstironie der Münchner Gesellschaft einst und heute wird im Publikum dennoch verstanden. „Ist er nicht großartig in seiner Ich-Beschränktheit, dieser Bewohner der bayrischen Hochebene?“ lästert Johanna Krain.

   Als sich der Vorhang öffnet, blickt man auf eine Wand aus dunkelgrauen Quadraten. Eines in der Mitte gibt einen schmalen Ausschnitt frei, aus dem Gesichter in den Saal blicken. Jetzt seid ihr gespannt, was da kommen wird, scheinen sie zu denken. Recht haben sie. Der Ausschnitt öffnet sich. In ihn hinein drängelt sich das Ensemble zu einem Prolog auf das, was folgen wird. Später wird dieses Quadrat als Kerker für den Subdirektor der staatlichen Sammlungen, Martin Krüger, dienen. Er hatte den Fehler begangen, anstößige Gemälde auszustellen. Das hätte nicht für eine Inhaftierung gereicht. Doch fand sich jemand für einen Meineid, Krüger sei einer Frau in deren Wohnung gefolgt. Doppelmoral in einer aus den Fugen geratenen Welt, die auf die nationalsozialistische Bahn abgleitet, in der jeder Zweck die Mittel heiligt. Sie findet ihre optische Entsprechung in dem Gegensatz zwischen der hermetischen Wand aus Quadraten und dem offenen Rondell der Straßenlampen, in dem sich von je nach Situation zwischen Jazz und Volksmusik wechselnden Live-Klängen begleitet die Figuren begegnen.

Erfolg-Foto-Hupfeld-0957p.jpg

Karikaturen, aber erschreckend nah an der Wirklichkeit, v.l. Oliver Stokowski, Liliane Amuat, Thiemo Strutzenberger, Florian von Manteuffel 

   Als da sind: der schon erwähnte Museumsdirektor in Gestalt von Thiemo Strutzenberger. Lilian Amuat als dessen Freundin tut alles dafür, ihn frei zu bekommen. Und schläft sich dazu ganz cool und pragmatisch durch die bessere Gesellschaft. Steffen Höld füllt die Doppelrolle des Kulturministers Dr. Franz Flaucher und des Schauspielers Konrad Stolzing aus, der Rupert Kutzner (im Roman eine Hitlerkopie) die „Wirkungsästhetik“ von gehen und reden beibringt. Barbara Horvath verkörpert als Baronin von Reindl tiefgekühlt nüchtern das Kapital, dem die Justiz devot zu Diensten ist. Florian von Manteuffel karikiert den Justizminister Dr. Otto Klenk im bayerischen Habit mit selbstgefälliger Tücke und als späterer Speichellecker der Baronin als tumbes Hundchen. Valentino Dalle Mura wechselt als linker Ingenieur Kaspar Pröckl die Fronten.

   Thomas Reisinger wird als aufrechter Anwalt Dr. Siegbert Geyer schon mal zusammengeschlagen; Oliver Stokowskis sich maskenhaft an der grauen Wand entlang schiebender Gefängnisdirektor Förtsch könnte aus einer Inszenierung von Robert Wilson entsprungen sein. Der Mann fürs Grobe in der Gruppe der „Wahrhaft Deutschen“, die man leicht als NSDAP identifizieren kann, ist Michael Wächter als hemmungslos kaltschnäuziger Boxer Alois Kutzner (er begeht den Fememord an dem als Verräterin denunzierten Dienstmädchen Amalia Sandhuber), während Moritz Treuenfels als Kleinunternehmer Erich Bornhaak den klassischen Mitläufer gibt.

   Dieses Personal monologisiert, diskutiert, verspricht und lügt im sich drehenden Lampenpark, formiert sich zu einer Polonaise so lang wie Pinocchios Nase. Die Botschaft ist klar: Letztlich ist jede und jeder korrumpierbar. Am Ende schließt sich die Quadratwand wieder. Krüger liegt wieder in seiner Zelle, wo ihn ein Herzinfarkt ereilt. Gerade jetzt, da seine Freilassung bevorstand. Zum Schlusslied aufersteht er jedoch von den Toten und reiht sich in das großartige Ensemble ein. Weil er in seiner Zelle ja nichts zu tun hat, außer Trübsal zu blasen und sich groteske Dinge auszudenken, darf er zwischendurch die Travestie der Roaring Twenties hochhalten und als androgyne Revuetänzerin im Glitzerbikini über die Bühne tänzeln. Ende gut, alles gut? Mitnichten. 100 Jahre später ist die Welt genau so wenig heil wie einst, politisch, klimatisch, ökonomisch. Außen am "Resi" kann man folgende Schrift lesen: "Nichts Ungeheurer als der Mensch!  Antigone"

    Info: Die letzte Aufführung vor der Sommerpause beginnt heute, Mittwoch, um 19.30 Uhr.

 

Wolfgang Nußbaumer

(25.07.2023)   

Nach oben

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.