„Angabe der Person“ - Elfriede Jelinek Empfehlung

Fritzi Haberland, Susanne Wolff und Linn Reusse verkörpern auf der Theaterbühne Elfriede Jelinek. Fritzi Haberland, Susanne Wolff und Linn Reusse verkörpern auf der Theaterbühne Elfriede Jelinek. Fotos: Arno Declair

Hätte die Steuerfahndung nicht die Wohnung von Elfriede Jelinek in München durchkämmt, wäre das Theaterpublikum nie in den Genuss der sensationellen Inszenierung Jossi Wielers „Angabe der Person“ am Deutschen Theater in Berlin gekommen.

   Diese Heimsuchung hat die Nobelpreisträgerin so in Rage versetzt, dass sie sich den Zorn von der Seele schreiben musste.

   Lassen wir zu Beginn den Regisseur zu Wort kommen. Durch jahrzehntelange Zusammenarbeit kennt er die österreichische Autorin und ihr Werk wie kaum ein anderer. Der Text, den er für die Uraufführung am „Deutschen Theater“ bearbeitet hat, „vereint Kolportage, Autobiographisches, Dokumentarisches, Historisches, ist aber auch eine Apologie und eine Wut-Rede über Deutschland.“

   150 eng beschriebene Seiten hat der Drucker ausgespuckt, wie Jossi Wieler erzählt. Eine wahre Text-Fundgrube, aber auch eine inszenatorische Herausforderung ohnegleichen. Eine Herausforderung, die dem Regisseur andererseits ein Höchstmaß an Freiheit gibt, weil sich Elfriede Jelinek völlig aus der dramatischen Umsetzung heraushält.

   Wieler hat sich dazu entschieden, das Textungetüm, dem er zusammen mit Dramaturg Bernd Isele zu Leibe gerückt ist, drei Schauspielerinnen und einem Schauspieler anzuvertrauen. Fritzi Haberlandt, Linn Reusse und Susanne Wolff bringen den Text ganz transparent zum Klingen, während Bernd Moss an einem reich bestückten Computertisch sitzt; mal antwortet, mal dazwischenruft. Auf der Drehbühne erhebt sich eine von Anja Rebes ausgedachte schiefe(!) Ebene, die eine angedeutete Hauswand mit Tür- und Fensteröffnung trägt. Ferner eine Kloschüssel. Elfriede Jelinek ist nichts Menschliches fremd.

   Ein mechanisches Klavier spielt eine Melodie, zu der sich Fritzi Haberland warmläuft. Wie die andern trägt sie eine rotblonde Perücke über dem leichenblassen Gesicht. Alle drei sind Wiedergängerinnen der Autorin, die ihr Sein und Nicht-Sein, ihr Gestern und Heute im Kontext der Geschichte reflektiert. Im Besonderen ihrer eigenen Familie und Verwandtschaft in den Untiefen dieses Wortmeeres. Sie erzählt von ihrem Cousin Walter Felsenburg, der mit seiner Frau Claire vor den Nazis flüchten musste. Von deren Schwester Lotte, die die Vernichtungslager überlebt hat und von Walters Vater. Er hat im KZ Dachau einen Arm verloren und sich nach Kriegsende das Leben genommen. Vermutlich zum ersten Mal erwähnt die 76 Jahre alte Literatin auch ihren Mann Gottfried. Er ist Anfang September 2022 gestorben.

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Fritzi Haberlandt und Bernd Moss

 

   In ihrem autobiographischen Erzählstil kommt sie vom Hundertsten ins Tausendste ohne den roten Faden zu verlieren. „Zu niemandem bin ich so gerecht wie zu mir“, erklärt sie. Schonungslos, ohne Rücksicht auf Verluste. „Ich bin eine, die fällt, oder gefällt wird, je nachdem, wie man es sieht.“ In diesem Text hat sie alles selbst in der Hand. Bevor sie jedoch selbst das Wort an sich setzt, fällt sie etliche andere. Zum Beispiel die Nazis in Vergangenheit und Gegenwart. Namentlich die beiden Naziverbrecher Baldur von Schirach (Reichsjugendführer und Reichsstatthalter in Wien) und Arthur Seyß-Inquart (Reichskommissar für die Niederlande). Dass in diesem Kontext auch der Name Alexander Gauland auf der Theaterbühne fällt, verwundert nicht.

   Indes fallen auch die Namen von Schubert und Schumann. Schließlich hat sich die Jelinek von Kindheit an mit Musik beschäftigt. Jossi Wieler schließt daraus: „Sprache ist bei ihr Musik und Komposition.“ Vielleicht lässt sich von den Akteurinnen deshalb dieser Text so virtuos beherrschen, weil sie diese Metaebene verinnerlicht haben. Wie dieses Trio jedenfalls zunächst solo und am Ende zusammen die „Lebenslaufbahn“ der Nobelpreisträgerin reflektiert, ist Sprechkunst in Vollendung. Zweieinhalb pausenlose Stunden, von denen keine Sekunde langweilig ist.

Info:  Nächste Aufführungen am 5./6./20./23./31. März; www.deutschestheater.de

 

Wolfgang Nußbaumer     

(25.02.23)

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