Puppen ehren Brecht Empfehlung

Der liebe Gott und Karl Marx kommen sich näher - geführt von Martin Klingeberg, Suse Wächter und Hans Jochen Menzel. Der liebe Gott und Karl Marx kommen sich näher - geführt von Martin Klingeberg, Suse Wächter und Hans Jochen Menzel. Fotos: Jörg Brüggemann

Zeit für Gespenster in der Hauptstadt.

   Im „Berliner Ensemble“ erweckt die Puppenspielerin Suse Wächter zum 125-jährigen Bestehen des Hauses „Brechts Gespenster“ zum Bühnenleben, während das „Deutsche Theater“ Elfriede Jelineks autobiographischer Geisterbeschwörung gleich in dreifacher Besetzung Raum zur Entfaltung gibt. Doch bleiben wir bei Brecht. Gespenster in Fülle.

   Auf der Bühne im „BE“ hat Suse Wächter ein ganzes Arsenal von rund 80 Puppen aufgestellt, aufgehängt, hingesetzt und hingelegt. Ganz große und ganz kleine. Der große BB mit Zigarre im Mund wartet, was da auf ihn zukommt; Gott mit weißem trifft den ihm erstaunlich gleich aussehenden Karl Marx mit grauem Rauschebart; das riesige Gerippe von Maggie Thatcher - Englands eiserner Lady - darf sich über die arbeitenden Proletarier in Minigröße lustig machen, und sie kurzerhand abräumen. Die mit ihnen spielende geniale Puppenbauerin lässt Erich Honecker säuseln und den Tenor Pavarotti singen. Angesichts so vieler „Es“, „Ichs“ und „Über-Ichs“ muss zum guten Schluss Sigmund Freud aus der Kiste krabbeln und sich auf die schwarze Ledercouch bequemen.

   Nicht zu vergessen Automagnat Henry Ford, der auf dem Schoß des Keyboarders Matthias Trippner zunächst das Lob des Kommunismus intonieren muss. Umso lauter schmettert er anschließend eine Hymne auf den Kapitalismus und haut dazu auf ein neben dem Keyboard platziertes Schlagzeug. Neben dem Tastenmann sorgt der Trompeter und ein Glockenspiel bedienende Martin Klingeberg für die präzise musikalische Begleitung. Bedenkt man, dass Ford nicht nur ein Kapitalist reinsten Wassers gewesen ist, sondern nebenher auch noch antijüdische Schriften verfasst hat, wird einem die kluge Ambivalenz dieser Puppenschau bewusst.

04_Brechts_Gespenster_foto_JÃrg_Brüggemann.jpg

Suse Wächter und Hans-Jochen Menzel erwecken die Puppe Manfred zu fantastischem Bühnenleben.

   Ähnlich gerippig wie Thatcher und ähnlich groß wird der langjährige BE-Intendant Manfred Wekwerth spöttisch animiert. Noch viele von Bertolt Brechts Gespenstern, Menschen, denen er und andere in Vergangenheit und Gegenwart begegnet sind, animiert Suse Wächter zu beredtem Bühnenleben. Auf einer Totenbahre ruht der Leichnam von Lenin, Franz Kafka blickt mit wachen Augen in die Welt. Ein Angst-, ein Zyniker- und ein Ernst-Zwerg räsonieren über die Welt, wollen von unten nach oben. Auf einer Reihe leerer Fächer sind Marilyn Monroe, Marlene Dietrich, Einstein und andere Schauspiel-, Wissenschafts- und Filmheroen aufgebaut, die jedoch nicht ins Spiel mit einbezogen werden.

   Dieses Spiel ist neben der Aura der lebensecht wirkenden Puppenköpfe das eigentliche Mysterium der Aufführung. Wie Suse Wächter und Hans-Jochen Menzel die Puppen in analoger Bewegung führen, sie in unterschiedlichen Dialekten und Tonlagen sprechen lassen, wobei man den Menschen neben der animierten Gestalt in der Wahrnehmung quasi ausblendet, ist schon gespensterhaft. Wundert es da noch jemand, wenn ein Geist mit Totenschädel über dem weißen Hemd durch den Zuschauerraum tollt?

   90 Minuten vergehen, unterhalten von diesem Personal, wie im Fluge. Suse Wächter lässt auf höchstem Niveau Poesie und Ironie Hand in Hand gehen. Dafür ernten sie und ihre Mitstreiter hoch verdienten, ergiebigen Beifall. Was Dramaturg Bernd Stegemann in seiner Einführung schreibt, hat sich einmal mehr bewahrheitet: „Seit es Theater gibt, spielen Gespenster eine Hauptrolle.“ Die nächsten Aufführungen am 3. und 8. März sind bereits ausverkauft.

 

Wolfgang Nußbaumer 

(23.02.23)

Nach oben

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.