„Lernt schwimmen“ mahnt der Untergeher

Grell, schrill, schnell - der Revue-Tanz auf dem Vulkan. Grell, schrill, schnell - der Revue-Tanz auf dem Vulkan. Foto: Thomas Aurin

Ein Donnerschlag, dann zieht Gewisper durch das Stuttgarter Schauspielhaus. „Nervosität an den Kaffeemärkten“, „Verbrecherdrama in Chicago“ oder „Überraschung von oben – Kind fällt aus Zeppelin“. Der Vorhang geht auf, der Tanz auf dem Vulkan kann beginnen.

   Die Schlagzeilen sind die Gesteinsbrocken, die der Vulkan spuckt, bevor er ausbrechen und Europa verwüsten wird. Der Schwarze Freitag 1929 an der New Yorker Börse fällt einem ein, der zur Weltwirtschaftskrise geführt hat, der Verfall der Währung. Sie ausgeben bevor sie nichts mehr wert ist, lautet die Devise. In diese Welt hinein schlendert Erich Kästners Fabian, um vor die Hunde zu gehen.

   Das hat er zu Beginn gewiss nicht vor, weil er nichts vor hat. Der Mann ist rat- und arbeitslos. Wie viele andere seiner Zeitgenossinnen und Genossen. Die fast jede Arbeit annehmen, manchmal um den Preis der Selbstaufgabe. Wie Fabians Freundin Cornelia. Sie hat die Chance auf ein Engagement als Filmschauspielerin; muss dazu jedoch zuerst mit dem Produzenten ins Bett. Damit verliert sie den Freund. Eine exemplarische Schattenseite in diesem Überlebensspiel um alles oder nichts.

   Bühnenbildner Juli Balázs hat ganze Arbeit geleistet und gleich zwei Spielstätten übereinandergestapelt. Welt und Unterwelt. Oben lässt sich Fabian durch eine Säulenhalle treiben, in der ihn durch die Musik von Klaus von Heydenaber befördert hektisches Leben umgibt. Gábor Biedermann lässt diesen Fabian mit unbewegter Miene, in der sich nur manchmal Überraschung mit ungläubigem Staunen mischt, durch das Geschehen treiben. Amüsierbetriebe und Revuen, in denen erotisch geschwängert die Post abgeht. Der Tanz auf dem Vulkan im Wortsinne. Das Bedürfnis nach Zuneigung und Sicherheit wird permanent konterkariert. Grell, lebenssüchtig. Das gesamte 16-köpfige Ensemble ist mit sichtlichem Spaß am Spiel dabei. Überzieht nach Kräften, um den Kontrast zur Handlung nach der Pause zu schärfen.

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   Wenn es ans Eingemachte geht. Die Menschen verkaufen sich, um zu überleben. Frei nach Brecht: Zuerst kommt das Fressen und dann die Moral. Das Ergebnis ist das große Scheitern: Der Liebe zwischen Fabian und der so anziehend natürlichen Paula Skorupa als Cornelia Battenberg, die wie ein sicherer Anker in dieser stürmischen See wirkt, bis im Filmbusiness die Moral zum Teufel geht. Der beruflichen Vision von Fabians geradlinigem und top organisiertem Freund Stephan Labude, der sich umbringt, als er den sicher geglaubten Job nicht bekommt (man leidet mit Felix Strobel mit). Da treibt es Regisseur Viktor Bodó auf die Spitze und mit Entsetzen Spott. Mehr bittere Ironie geht nicht.

   Ein Witz löst das finale Desaster aus. Der Assistent des Professors, bei dem Labude seine Arbeit eingereicht hatte, teilt ihm mit, sie sei ungenügend. Ein sehr schlechter Scherz, denn das Gegenteil ist richtig. Dr. Jakob Fabian steht vor einem Trümmerberg enttäuschter und getäuschter Hoffnungen, der in diesem werkgetreuen Epos über zweieinhalb spannende, anregende, aufregende und zuletzt unendlich traurige Stunden angehäuft worden ist. Wer würde da nicht ins Wasser gehen. Umso kryptischer klingt Kästners Schlussappell „Lernt schwimmen“. Oben bleiben, bevor man untergeht. Es gar nicht erst soweit kommen lassen mit den Zeiten. Insofern ist diese Erzählung auch eine Mahnung für uns Heutige. Verdienter großer Beifall!

Wolfgang Nußbaumer

(29.04.2022)   

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