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Szenisches zu "Vielleicht Esther"

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Im vergangenen Jahr erhielt die in der Ukraine geborene und heute in Berlin lebende Schriftstellerin und promovierte Literaturwissenschaftlerin Katja Petrowskaja den Schubart-Literaturpreis der Stadt Aalen.

 

Zum Auftakt der diesjährigen Kulturreihe "wortgewaltig - Literatur.Musik.Meinungen" gab es eine bemerkenswerte Lesung im Alten Rathaus. Eine, die ganz in der Tradition des Dichters, Musikers und Journalisten Christian Friedrich Daniel Schubart stehe, wie Kulturamtschef Dr. Roland Schurig bei der Begrüßung versprach. Die Reihe "Wortgewaltig" wolle pointiert, mutig und manchmal auch provozierend die Welt betrachten, neue Perspektiven durch Lesungen, Liedvorträge, Gespräche und Filme ermöglichen. Bei "wortgewaltig" gehe es ganz im Sinne Schubarts um Worte, Töne und Meinungen.

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Treffpunkt ist die Theaterbühne im Alten Rathaus, eine ideale Kulisse, die sich dank schwarzer Verhüllung völlig zurücknimmt, um dem Klang der Worte und der Musik den Vorrang zu lassen. Spärliches Scheinwerferlicht umgibt Ralf Eisler, der mit seiner Klarinette ein leises Lied anstimmt. Ein paar Takte genügen und schon klingt die vertraute Melodie von "Donna Donna" im Ohr. Berühmt wurde das Lied - in der englischen Bearbeitung von Arthur Kevess und Teddi Schwartz - erst in den  1960er Jahren  durch  Joan Baez, obwohl es bereits 1940  von Aaron Zeitlin geschrieben und von Sholom Secunda (von ihm stammt übrigens auch "Bay mir bistu sheyn") in Noten  gesetzt wurde.

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"Arme Kälbchen kann man fesseln und zum Schlächter schleppen hin, frei zu sein bedarf es Flügel, und du fliegst zum Himmel hin."(aus "Donna Donna")Ursprünglich in jiddischer Sprache gesungen war "Dana Dana" (gelegentlich heißt es auch "Dos Kelbl")  Teil des Musicals "Esterke". Das Lied handelt von einem Kälbchen, das sich nicht dagegen wehren kann, zur Schlachtbank geführt zu werden. Es ist abhängig wie der Knecht in der letzten Liedzeile, im Gegensatz zu den Schwalben, die ihr Schicksal selbst bestimmen. Sie symbolisieren Autonomie und Selbstverantwortung des Menschen, die Basis persönlicher Freiheit. Das Lied widerspiegelt die furchtbare Situation der Juden während der Nazidiktatur.
"Donna Donna" führt hin zu Katja Petrowskajas Buch. Die Schriftstellerin verfolgt in "Vielleicht Esther" die Spuren ihrer Vorfahren durch das 20. Jahrhundert und durch die Städte Kiew, Berlin, Warschau, Moskau. Mit ihrem Roman setzt sie der Großmutter des Vaters, die 1941 im besetzten Kiew von deutschen Offizieren erschossen wurde, ein Denkmal.
An ihren Namen kann sich niemand mehr erinnern, da sie von allen nur "Babuschka" genannt wurde.

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"Vielleicht Esther"In sieben Kapiteln erzählt Katja Petrowskaja eine bewegende Familiengeschichte, nimmt den Leser mit auf ihre Recherchereise: Aufklärer im 19. Jahrhundert waren die Vorfahren, gründeten eine Schule für taubstumme jüdische Kinder. Judas Stern, ein Großonkel, verübte 1932 ein Attentat auf den deutschen Botschaftsrat in Moskau. Sterns Bruder, ein Revolutionär, nannte sich im Untergrund Petrowski. Und schließlich das 20.Jahrhundert: die Deportationen, bei denen der Großteil der Familienmitglieder ermordet wurde. Die Überlebenden sind heute über die Welt verstreut.

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Tina Brüggemann nahm  sich als Vorleserin des Buches an, um mit den authentischen  Worten der Schriftstellerin, mit pointierter Betonung höchst sensibel durch den Text zu führen. So wurde aus der Lesung mehr als nur eine Lesung, zumal Tina Brüggemann noch drei weitere Akteure zur Seite standen, die die tiefgreifende Gedankenwelt der Autorin musikalisch und verbal in Szene setzten. Neben Ralf Eisler, der während des Abends mit der Klarinette noch die Melodie der KZ-Häftlinge auf dem Weg zur Gaskammer und Verdis "L´amore d´Alfredo perfino mi manca" (aus "La Traviata") intonierte, wies mit den drei musikalischen Interpretationen in die richtige Richtung. Vergleichbar der Beitrag des Stuttgarter Bernd Schmitt, der gemeinsam mit Vered Kornfelder und den anderen die Wortkompositionen "Wünschelrute" in Deutsch, Hebräisch sowie Russisch und zuvor den "Versuch der Rückeroberung des Wortes Arbeit" (Autor Bernd Schmitt) in Szene zu setzen, um eine neue Erlebnis- und Wahrnehmungsweise zu realisieren.
 
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Das ist keine Literatur, das ist historische WahrheitDazwischen Tina Brüggemanns Lesung aus den einzelnen Kapiteln des Buches, unter anderem aus den Abschnitten "Familienbaum", "Das Tor", "Die letzte Mutter" und "Die Probe". Herzstück des Romans ist das fünfte Kapitel, das mit "Babij Jar" beginnt, jener Schlucht bei Kiew, in der die deutschen Besatzer bei Massenerschießungen am 29. und 30. September 1941 etwa 200.000 Menschen ermordeten. Darunter auch etliche Familienmitglieder der Autorin. Die Vorleserin wählt den Abschnitt "Vielleicht Esther", die Suche nach dem Vornamen der Großmutter,  auch Titel des Romans.
Tina Brüggemann zeigt, wie präzise die Autorin die Worte wählt, wie schnörkellos und voller Kraft die ihr ursprünglich fremde deutsche Sprache, mit der sie aus einem der dunkelsten Kapiteln der deutschen Geschichte berichtet, wirkt. Anmerkung: Über "Vielleicht Esther" sagt Katja Petrowskaja selbst, sie schreibe keine Literatur, da ihre Geschichte nicht fiktiv sei.

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INFO
Termine zu der Kulturreihe "wortgewaltig 2016 – Literatur, Musik, Meinungen"


Freitag, 4. März 2016 um 19 Uhr
Luise F. Pusch gilt als Deutschlands bekannteste feministische Sprachwissenschaftlerin. Ihre Erkenntnisse lässt Pusch seit Jahren in sprachkritischen Glossen einfließen. In ihrem Blog „Laut und Luise“ schreibt sie Kommentare zu aktuellen Ereignissen. Pointiert und zugespitzt nutzt sie die Form für ihre Gesellschaftskritik. Seit 25 Jahren wird der Internationale Frauentag in Aalen begangen. Pusch lässt diese Epoche am im Spiegel ihrer Glossen lebendig werden. Die Veranstaltung findet in Kooperation mit dem Büro für Chancengleichheit und der VHS Aalen im Paul-Ulmschneidersaal im Torhaus statt.


Sonntag, 6. März 2016 um 19 Uhr
Im Theater auf der Aal wird am das Bühnenstück zur Erinnerung an Hanns Dieter Hüsch „Und sie bewegt dich noch!“ gezeigt. Die erste Tourneeproduktion des Deutschen Kabarettarchivs Mainz ist eine Hommage an den Menschenfreund und großartigen Kabarettisten Hans Dieter Hüsch, der 2005 verstarb. Autor Jürgen Kessler und Regisseur Holk Freytag inszenieren als langjährige Freunde und Wegbegleiter diese Reminiszenz an den „kritischen Poeten der Phantasie“  und schreiben dessen zeitlose Poesie wie kritische Gedanken konsequent fort. Dabei werden sie unterstützt von Irmgard Haub (Texte und Gesang) sowie Johannes Reinig oder Markus Schönberg (beide Klavier).

          
Donnerstag, 17. März 2016, um 20 Uhr
“Dein Theater“ aus Stuttgart gastiert mit einem Stück über den Reformator Martin Luther in der Markuskirche. „Martin Luther. Wie er wurde, was er bleibt – Bibel als Orientierung” lautet der Titel des Programms von Hans Rasch und Stefan Österle. Wir blicken ins 16. Jahrhundert: wer sich der Kirche widersetzt, ist des Teufels. Bücherverbrennungen, Todesurteile gegen Kirchenkritiker. Korruption und Sittenlosigkeit der Religionsverwalter provozierten den Augustinermönch Martin Luther 1517 zu 95 Thesen. Für seine Reformversuche setzt er Ruf und Leben aufs Spiel und wird ungewollt zum Kirchenspalter. Zur allgemeinen Verständlichkeit erfindet er das Hochdeutsch.

Freitag, 8. April 2016 um 20 Uhr
Um Medien, Meinung, Weltgeschehen geht es mit dem Anchorman der ARD Tagesthemen Thomas Roth, live in der Stadthalle Aalen. Im Gespräch mit dem SWR-Redakteur Dr. Wolfgang Niess gibt der Moderator und langjährige Auslandskorrespondent Einblick in seinen Berufsalltag und die Kunst des Nachrichtenmachens. Dabei geht es um Fragen wie: Was macht guten Journalismus aus? Wie werden aus Ereignissen Nachrichten? Welche Macht haben Bilder? Und natürlich wird der Hörfunkjournalist Niess seinen Fernsehkollegen auch auf aktuelle Tagesthemen ansprechen.


Mittwoch, 13. April 2016 um 20 Uhr
Es ist ein glücklicher Zufall: die beiden großen Liedermacher Hannes Wader und Konstantin Wecker gastieren  beide im April 2016 in der Kulturregion Aalen. Passend dazu zeigt das Kino am Kocher den Dokumentarfilm von Rudi Gaul aus dem Jahr 2011 „Wader Wecker Vater Land“. Die Liedermacher Hannes Wader und Konstantin Wecker sind auf einer gemeinsamen Tournee unterwegs in Deutschland. Das ist eine Sensation, die über viele Jahre nicht für möglich gehalten wurde. Zwei der wichtigsten deutschen Liedermacher, beide politisch und mit bewegten Lebensläufen, in denen sich trotz ihrer scheinbar so unterschiedlichen Persönlichkeiten ein Stück bundesdeutscher Zeitgeschichte widerspiegelt.


Donnerstag, 14. April 2016 um 20 Uhr  
Die Förderpreisträgerin des Schubart-Literaturpreises 2015, Karen Köhler ist auch 2016 zu Gast in Aalen. Sie liest in der Musikschule Aalen aus ihrem Erstlingswerk „Wir haben Raketen geangelt“ Die rauschhaften Erzählungen handeln von diesen Momenten, in denen das eigene Universum zerbricht und weit und breit kein neues in Sicht ist. Und  Köhler schildert in direkter, junger Sprache den Zustand danach. Das sind Erzählungen „am offenen Herzen“ schreibt die FAZ, bildintensiv, zupackend und lakonisch.


Freitag, 15. April 2016 um 20 Uhr
Der Liedermacher und Poet Hannes Wader kommt mit seiner neuen Tournee “Live” in die Stadthalle Aalen. Hannes Wader ist eine Legende! Viele seiner Songs sind Allgemeingut, werden von Generation zu Generation weitergegeben und immer wieder neu gesungen. „Heute hier, morgen dort“ zum Beispiel kann zu den beliebtesten deutschsprachigen Volksliedern gerechnet werden. Wader ist  Autor und Interpret von Liedern, die intimste Empfindungen ausdrücken. Er ist aber auch der politische Mensch, der Stellung bezieht, sich einmischt und damit zu wichtigen Bewegungen in den letzten Jahrzehnten den „Soundtrack“ geliefert hat. Ein wahrhaft wortgewaltiger Liedermacher!


Freitag, 22. April 2016 um 20.20 Uhr
Wortgewaltig endet die Reihe "wortgewaltig" mit einer Pecha Kucha Night in der Alten Post. Wortgewaltig bedeutet laut Wikipedia die Fähigkeit, andere mit Formulierungen zu beeindrucken. In Aalen kennt man das seit 2009 in Form der Pecha Kucha Night. Sie ist ein festes Format im Aalener Kulturangebot. Aus Tokyo kommt die Idee jede Präsentation zeitlich zu begrenzen. Vortragende haben 20 Folien mit je 20 Sekunden zur Verfügung, also nicht mehr als 6.40 Minuten Redezeit. Im Kurzvortrag kommt es eben weniger auf die Software als vielmehr auf die Wortgewalt und auf eine klare Botschaft an.
 
Weitere Informationen zu "wortgewaltig" sind im Internet unter www.aalen.de zu finden. Karten gibt es  in der Tourist-Information Aalen, Reichsstädter Str. 1, Telefon: 07361 52-2358 oder über www.reservix.de.

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