Außerirdisch überirdisch Empfehlung

Unerbittlich dreht sich das Rad des Schicksals. Unerbittlich dreht sich das Rad des Schicksals. Foto: Thomas Aurin

Außerirdisch überirdisch – Metapher und Wirklichkeit reichen sich in Ulrich Rasches „Elektra“ die Hand.

   Eigentlich hat ja Hugo von Hofmannsthal das antike Drama des Sophokles adaptiert. Der Resi-Regiestar hat daraus jedoch mit einem Maximum an Technik und einer blendend aufgelegten Schauspielerriege ein dauerbewegtes Riesenspektakel konstruiert, das für sich selbst steht.

    Der als Bühne die Bühne dominierende, in sich bewegliche gigantische Zylinder mutet an wie aus Teilen eines „Star Wars“- Kriegssterns, dem schiefen Turm von Pisa und jenem von Babel zusammengebaut. Darauf nimmt das Schicksal in Gestalt der omnipräsenten Katja Bürkle in der Titelrolle und einem ihr folgenden oder sie unerbittlich mit ihrem Entscheidungsprozess konfrontierenden Chor seinen Lauf. Stetig gehen, schleppen, marschieren sie gegen die Bewegung der Maschine an. Zerren an den Gurten, die sie halten, wie Bestien, die sich auf ihr Opfer stürzen wollen, um dann wieder zurückzuweichen vor dem Ausmaß des familiären Grauens, das sich auftut.  

      Dieser Antagonismus provoziert förmlich die Auseinandersetzung mit dem historischen Geschehen, der Ermordung des Agamemnon durch seine Frau Klytämnestra und deren Liebhaber. Da sich der Herrscher aus dem trojanischen Krieg ein hübsches weibliches Souvenir in Gestalt der Prinzessin Kassandra mitgebracht hatte, kann man ganz objektiv doppelten Ehebruch konstatieren. Mit dem schlechteren Ende für den König. Er starb in der Badewanne wie Jean Paul Marat, den ebenfalls eine Frau erdolcht hat. Allerdings wegen unterschiedlicher politischer Auffassungen. Die Liebe zum Vater obsiegt bei Elektra, obwohl er schon ihre Schwester Iphigenie für guten Wind in die Segel geopfert hatte. Selbst will sie nicht Rachegöttin sein. Der Bruder Orest soll’s richten, wenn er aus dem Exil zurückkehrt. 

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 Begegnung mit dem Bruder: Katja Bürkle als Elektra und Thomas Lettow als Orest.

 

     Aber welche Triebfeder treibt diese Elektra an? Eifersucht auf die Mutter? Simple Rache? Die Erkenntnis, dass die tradierten Regeln und Rituale obsolet geworden sind angesichts vorbestimmter schicksalhafter Verstrickungen? Katja Bürkle dekliniert die Fälle mit höchster Sprach- und Sprechkunst durch, mal Furie, mal leidende Kreatur, mal ganz rational argumentierende Feministin. Und immer in Bewegung, immer dabei, die Fesseln zu sprengen, die sie in dieser selbstzerstörerischen Maschinenwelt halten. Bis zu diesem Moment, an dem die Welt für einen Moment den Atem anhält. Als sie vorsichtig den Arm ausstreckt und in einer unendlich zärtlichen Geste das Gesicht ihres Bruders Orest berührt. Thomas Lettow ist ebenso wie Juliane Köhler als stolze Klytämnestra und Lilith Häßle als zögerlich zaudernde Schwester Chrysothemnis nicht mehr, aber auch nicht weniger als Dialogpartner und Stichwortgeber für Katja Bürkles sich tief in das Gemüt eingrabenden wie die Maschine auf- und abebbenden Monolog.

    Zu dessen besserem Verständnis hilft ein Blick ins Programmheft. Darin verweist Christina von Braun auf die Bedeutung des griechischen Wortes „hystereo“. „Ich komme zu spät, ich säume, ich erreiche nicht, ich lasse vorbei“. Das beschreibt gut Elektras Dilemma. Insofern ist sie hysterisch. Nicht jedoch in der landläufigen Anmutung. Wer sich jedoch als Zuschauer auf die aus dunklem Stahl geborenen schiefen Ebenen begeben müsste, würde vermutlich ziemlich rasch ziemlich hysterisch reagieren. Insofern ist auch zu bewundern, wie das Ensemble die physische und psychische Herausforderung gemeistert hat.

    Wie immer bietet Ulrich Rasche großes Theater mit Musik. Die sechs Instrumentalisten begleiten, assistieren, interpretieren und pushen unter der musikalischen Leitung der Komponistin Monika Roscher das Geschehen bis zur gemeinsamen Kakophonie mit dem furchtbaren Stöhnen des Maschinenkolosses. Der bricht am Ende im Feuersturm eines optischen Crescendos aus einer Scheinwerferbatterie zusammen wie der Kampfstern im „Krieg der Sterne“. Wahnsinn!! 

   Info:  Karten: Tel. 089/21851940, www.residenztheater.de 

 

Wolfgang Nußbaumer

        

 

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