Amour fou - nicht ganz piano

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Lea Singer Lea Singer Foto: Jacques Schumacher

Aus Briefen und Tagebucheinträgen hat die Autorin Lea Singer ein faszinierendes Porträt des großen Pianisten Vladimir Horowitz gestaltet.

   Er litt unter Depressionen und Schuldgefühlen, nicht zuletzt wegen seiner unterdrückten Homosexualität. In den Jahren 1937 - 1939 hielt sich der Ausnahmekünstler, der seine ukrainische Heimat nach einem sowjetischen Pogrom auf sein großbürgerliches jüdisches Elternhaus verlassen hatte, in der Schweiz auf.

   Er verliebt sich in den gut aussehenden Nico Kaufmann, Sohn einer Schweizer Arztfamilie. Der wird sein erster Klavierschüler.

   Aus dem zeitlichen Abstand von über 50 Jahren erzählt Kaufmann einem Zufallsbekannten die ganze Geschichte. So entsteht aus Puzzlestücken allmählich ein immer deutlicheres Bild von Horowitz.

  Wie einen Krimi beginnt Lea Singer ihren Roman. Zwei Individuen fahren zum Anwesen des reichen Juristen Reto Donati und finden dieses verlassen vor. Donati hat eigentlich mit seinem Leben abgeschlossen. Doch dann hört er Schumanns Träumerei. Zutiefst berührt verlässt er fluchtartig sein Heim und trifft schließlich in einer Kneipe auf den Barpianisten Kaufmann. Sie kommen ins Gespräch, reisen gemeinsam an verschiedene Erinnerungsorte, und Kaufmann erzählt dem anderen von seiner großen Liebe.

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   So nimmt die Person Horowitz Konturen an. Sein Elternhaus, seine unglückliche Ehe mit der Toscanini-Tochter Wanda, sein despotischer Schwiegervater, der weltberühmte Dirigent Arturo Toscanini, die Einsamkeit des genialen Pianisten, seine Depressionen, seine Auftrittsängste, sein jahrelanges Unvermögen zu konzertieren, seine Freundschaft zum Komponisten Rachmaninov, seine alles überschattende sexuelle Orientierung zu einer Zeit, in der dies als Krankheit galt und gesellschaftlich und politisch das Ende der Karriere bedeutet hat, all dies nimmt plastisch Gestalt an in den Erinnerungen Kaufmanns, der in Donati stellvertretend für den Leser einen interessierten Zuhörer gefunden hat.

   Der etwa 30jährige Horowitz begehrt den jugendlichen Körper des Schülers Kaufmann. Krankhaft eifersüchtig reagiert er auf die sexuellen Eskapaden des jüngeren. Haarklein will er alles erzählt kriegen. Es stimuliert ihn. Treue in einer homosexuellen Beziehung spielt für den Teenager keine Rolle. Der ältere hingegen leidet. Das Versteckspiel des schwulen Paares in Schweizer Hotels ließ sich nur ausleben, wenn die Ehefrau Wanda gerade nicht da war und Horowitz ungestört seine Freiheit genießen konnte. Der Klavierunterricht hat lediglich eine Alibifunktion. Zwar spielt der junge Kaufmann ganz passabel, doch ist es für den Maestro offensichtlich, dass der junge nicht das Zeug zu einem ganz großen hat.

   Einfühlsam zeichnet die Autorin mit Briefauszügen auf spannende Art die Amour fou nach. Eingebettet in die nicht weniger spannende Rahmenhandlung entwickelt sie eine mitreißende Dynamik. Eine kurzweilige unterhaltsame Lektüre über 400 Seiten, die leserfreundlich in kleinere Kapitel unterteilt ist.

   Lea Singer:  "Der Klavierschüler", Schweizer Kampa Verlag, Zürich, 20 Euro

 

Helga Widmaier

   

 

 

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