Da kocht das Meer Empfehlung

  • geschrieben von  wid
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Christian Brückner kann kurz durchatmen, während die Percussionisten von "Elbtonal" für großes Schlagwerkkino sorgen. Christian Brückner kann kurz durchatmen, während die Percussionisten von "Elbtonal" für großes Schlagwerkkino sorgen. Foto: wid

Mit einem fulminanten Crescendo ist der Musikwinter in Gschwend zu Ende gegangen.

   Zorn war dieses Mal das Motto der Literaturreihe. Christian Brückner verkörperte im wahrsten Sinne des Wortes den besessen irren Kapitän Ahab. Wie ein Klabautermann stand er auf der Bühne der Gschwender Gemeindehalle und rezitierte, nein er agierte und lebte den Jahrhundertroman "Moby Dick" von Hermann Melville.

   Vier Hamburger Jungs, die Percussionsgruppe "Elbtonal", hatten eine riesige Batterie aus Schlaginstrumenten auf der Bühne auffahren lassen. Ein Meer aus Trommeln, Gongs, Becken, Rasseln und dazu Marimba- und Vibraphone sollte den Rezitator begleiten. Ein erstmaliger gemeinsamer Auftritt, der die Urgewalt von Meer, Walfang und überdimensionierten menschlichen Affekten akustisch in die vollbesetzte Halle brachte.

   Wortgewaltig der Roman mit seinem Erzähler Ismael, der menschliche Beweggründe, Lebenserfahrungen, philosophische Betrachtungen, Zitate aus dem unerschöpflichen Fundus menschlicher Mythen miteinander verwob. Genial wie der Rezitator diese unterschiedlichen Erzählstränge mit der Abenteuergeschichte zusammenband. Christian Brückner gelang es wieder einmal, seine Zuhörer in den Bann der Erzählung zu ziehen. Konzentriert lauschte das Publikum dem emotional bewegenden Vortragenden. Nur ein ganz großer Rezitator bringt ein in jeder Hinsicht anspruchsvolles Mammutwerk mit ungewöhnlicher Wortwahl, verschachtelter Grammatik und Exkursen in die Geistesgeschichte so zu Gehör, dass das Zuhören keinen Kraftakt darstellt, sondern geradezu ein Vergnügen werden kann.

   Ein Gong läutet den Abend ein. Er erweckt langsam die Percussionsinstrumente  zum Leben. Leise Trommelschläge steigern sich langsam. Wie in einem Gewitter wirbeln die Schlägel durch die Luft. Die Trommeln verstummen. Christian Brückner verleiht dem Erzähler Ismael seine Stimme. Der einzig Überlebende des Walfangabenteuers rekapituliert seine Gründe für das Anheuern auf dem ominösen geheimnisumwitterten Schiff des Kapitän Ahab. Statt Suizid oder Totschlag fährt er zur See. Das Wasser bildet den idealen Hintergrund für seine tiefschürfenden Meditationen über das Leben und seine Unergründlichkeit. Die Spannung steigt. Bereits seit Tagen auf dem Schiff hat Ismael den sagenumwobenen Kapitän noch nicht zu Gesicht bekommen.

   Moby Dick, der weiße Wal wird eingeführt. Wissenschaftliche Beschreibungen treten zurück hinter anthropomorphen Zuschreibungen des Bösen. Ein Scheusal, das für das tödlichste Übel steht. Die Musik lässt ein untergründiges Grummeln hören, das nichtsdestotrotz circenhaft lockt.

   Ahab steht einbeinig auf der Brücke. Nur ein Ziel kennt der Gezeichnete. Seine unersättliche Rache, sein alleiniges Sinnen und Streben gilt dem weißen Wal. Er peitscht seine Mannschaft auf und schwört sie auf den unerbittlichen Kampf ein. "Elbtonal" unterstreicht jetzt die Worte und als diese verstummen, setzt die Musik fort, wo das Wort aufgehört hat.

Helga Widmaier

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