Alles andere als bieder
- geschrieben von -uss
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Dieser Requisiteur Josef Bieder ist einer von uns. Kein Biedermann. Einer, der das Herz am rechten Fleck hat. „Die Sternstunde des Josef Bieder“ im Theaterstudio im Alten Aalener Rathaus ist auch eine Sternstunde für Regisseur Jonathan Giele und den Schauspieler Michael Kausch.
Der erste Kunstgriff im Stück von Eberhard Streul und Erich Syri räumt alle Schranken zwischen Schauspieler und Publikum weg, indem er die Fiktion mit der Realität verschränkt. Das Publikum hat Karten für Richard Wagners „Götterdämmerung“; doch die Vorstellung ist überraschend abgesagt worden. Weshalb der Requisiteur sich bei seinen Vorbereitungen für die nächste Inszenierung ganz real plötzlich vollen Rängen gegenüber sieht.
Was tun? Die Leute hinauszukomplimentieren, ist er nicht befugt. Und den Disponenten erreicht er nicht. Also kommt der Josef Bieder ins Plaudern – und darüber zu sich selbst. Seine Selbst-Darstellung scheint bei seinem Gegenüber, also dem Publikum, mehr als nur einen Nerv zu treffen. Die Zuschauerinnen und Zuschauer sind hörbar bei der Sache. Die Selbstausbeutung aus Liebe zum Beruf, wer kennt sie nicht. So wie dieser brave Bieder, der sich als Requisiteur den Arsch aufreißt für sein Theater. Als Mann für alle Nebenfälle. Schrullig, liebenswert, behaftet mit all unseren Schwächen. Eine Randfigur, die mit bodenständig kurpfälzischem Zungenschlag um Anerkennung ringt – und sich mal wegträumt in ihre Traumrolle hinein. Ja, der kühne, selbstbewusste Torero Escamillo aus Bizets Oper „Carmen“ würde seinem Selbstverständnis entsprechen. Dabei spielt den in seinem Haus so ein grobschlächtiger Schreihals. Die Welt ist nicht gerecht. Sei’s drum.
Michael Kauschs Josef Bieder macht das Beste draus. Und das ist vom Besten. Denn der in Aalen lebende Schauspieler hat in seinen bald 70 Lebensjahren jede Menge Bühnen- und Filmerfahrung gesammelt. Er weiß, dass das wahre Leben hinter der Bühne stattfindet – und gewiss nicht in der Oper. Hinter den Kulissen fokussiert es sich wie in einem Brennglas.
Kausch jongliert mit den Archetypen der Bühne wie mit seinen Requisiten – ein von Jonathan Giele und Kerstin Pell mit viel Sinn fürs Detail ausgestattetes Objekttheater der besonders fesselnden Art, bei dem man auch noch einiges darüber erfährt, wie das Theater funktioniert. Wie wichtig es beispielsweise sein kann, sich für den Beifall richtig zu bedanken. Wenn der sich so selbstbewusst verbeuge, könne er ja nicht so schlecht gewesen sein – denke sich dann das Publikum. Kausch macht vor, wie’s geht. Herrlich linkisch.
Dieser Josef Bieder hat keine Zeit für Zweisamkeit; denn welche Frau will dabei sein, wenn er voll Leidenschaft für „sein“ Theater im Sperrmüll wühlt. Der in seiner Freizeit schaut, wie es seinen Requisiten geht, oder Rudi, den Mops, auf eigene Kosten durchfüttert. Nicht für sich, für das Theater. Es könnte ja sein, dass der Regisseur nach einem Hund verlangt.
Er ist unersetzlich, die Seele des Betriebs – davon ist er felsenfest überzeugt. Bis er den Brief des Intendanten aus seinem Postfach holt: Aus Kostengründen sei man gezwungen... Das Leben ist nicht fair - der rauschende Beifall für diese charmante Tragikomödie allerdings hoch verdient. -uss