70 Jahre geistige Abenteuer Empfehlung
- geschrieben von -uss
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Zu seinem 70. Geburtstag hat sich der Ellwanger Kulturverein „Stiftsbund“ in „Die Abenteuer des Prinzen Achmed“ gestürzt. Ein weiser Entschluss.
Die 100.000 Scherenschnitte, mit denen Lotte Reiniger in den Zwanzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts den ersten abendfüllenden Animationsfilm der Kinogeschichte zum Laufen gebracht hat, könnten symbolisch für die Arbeit des „Stiftsbunds“ stehen. Er hat in den sieben Jahrzehnten seit seiner Gründung 1946 unzählige Programmsplitter unterschiedlichster Provenienz zu einem Profil geformt, das sich bis heute als ebenso wandelbar wie stabil erwiesen hat.
Verwandlungen prägen das poetische Wunderwerk, das die 1979 mit dem Großen Bundesverdienstkreuz ausgezeichnete Filmerin und Buchillustratorin aus Episoden des orientalischen Klassikers „Tausendundeine Nacht“ zusammengebaut hat. Die Charaktere der einzelnen Akteure, Menschen, Zauberer, gute und böse Geister verändern sich allerdings nicht. In diesem orientalischen Märchen um den Prinzen Achmed, der seine Schwester vor dem bösen „afrikanischen Zauberer“ retten möchte und dabei die Liebe der natürlich wunderschönen Herrscherin eines Dämonenreiches gewinnt – die er fortan ebenfalls dauernd retten muss – weiß man von vornherein, wie man dran ist. Umso unbeschwerter kann man den fragilen Bewegungszauber dieses feingliedrigen Personals genießen, das schwarze Treiben vor diffusen farbigen Hintergründen. Man bewundert die hochästhetischen grafischen Effekte, die Lotte Reiniger damit erzielt und bestaunt die formale Raffinesse.
Scheherazades Geschichten, mit denen sie den Sultan bei Laune hielt, waren ursprünglich nicht für Kinderohren bestimmt. Und so spielt auch dieser frühe Zeichentrickfilm bar jeder Prüderie auf der Klaviatur der Erotik, ohne ein Blatt vor das Auge zu nehmen. Die Musik dazu zaubern Willibald Bezler aus den Flügeltasten und Anja Füsti aus einem perkussiven Arsenal, das keine Wünsche an Effekte offen lässt. Ein Gesamtkunstwerk auf Augenhöhe.
Ja, dieser alte, selbstbewusste Animationsfilm symbolisiert die Geschichte des Vereinsjubilars. Nach der in jeder Hinsicht mörderischen Nazidiktatur hatte der zunächst auf Initiative von Dr. Rudolf Müller-Erb als ein katholisches Bildungswerk gegründete Verein als Ziel, den moralischen, gesellschaftlichen und kulturellen Kahlschlag wieder aufzuforsten. Ab 1952 ohne Ansehen der Konfession. Der „Stiftsbund“ stand allen und allem offen. Mit Müller-Erb als treibender Kraft. Beim Festabend im Speratushaus brachte der Vorsitzende, Dr. Ludwig Haas, dessen Programmatik auf den Punkt: im Geist der Aufklärung Anregungen zum kritischen Nachdenken zu geben. Und das mit einem „extrem vielfältigen Programm“.
Oberbürgermeister Karl Hilsenbek lobte, der „Stiftsbund“ stehe mit seiner mutigen Arbeit in Ellwangen „für etwas Besonderes“. Die Außenwirkung sei nicht zu unterschätzen. Damit den Machern der Mut zum Träumen nicht ausgeht, brachte der OB einen Gutschein „für etwas mehr Wein“ mit. Dann stoßen wir an auf weitere lebendige 70 Jahre im Dienste des Gemeinwohls an. John Wolf