Mit viel Herzblut Empfehlung

Ja sowas; da kann man nur staunen, was der erzählt: (v.l.) Bernd Tauber als Künstler Béla, Alice Katharina Schmidt, Mirjam Birkl als Galeristin und Arwid Klaws als Árpád, der sich als Jude "outet". Ja sowas; da kann man nur staunen, was der erzählt: (v.l.) Bernd Tauber als Künstler Béla, Alice Katharina Schmidt, Mirjam Birkl als Galeristin und Arwid Klaws als Árpád, der sich als Jude "outet". Fotos: Peter Schlipf

Mit viel Herzblut hat das Theater der Stadt Aalen in dem Episodenstück „Samstag in Europa – Gefährliche Begegnungen“einen differenzierten Blick auf das Europa im Zeichen von Terror und Migration geworfen. Mit Aalener Beteiligung. Die Uraufführung.

Auf dem Bühnenvorhang erscheinen im Video viele Aalener Gesichter, bevor er zur Seite gezogen wird. Der Bürgerchor. Wie ein antiker Chor zeichnet er mit seinem rhythmischen Sprechen ein Bild der Stadt. Ein sehr genau beobachtetes Bild. Die Mitautorin Dagrun Hintze hat selbst intensiv hingesehen – mit viel Empathie. Das Premierenpublikum und alle anderen erfahren, dass in der Stadt am Kocher Menschen aus 120 Nationen leben.

    Und dieses Miteinander funktioniert offensichtlich. Nicht nur „weil der mit der Pandamaske bei uns zur Schule ging“. (Das Filmprojekt über „Cro“ hat tolle Kritiken erhalten) Die Solidarität als europäisches Erfolgsmodell wird vom Chor, den Thomas Haller einstudiert hat, eindrücklich beschworen: „Wenn es uns hier nicht gelingt, solidarisch zu sein, wie soll uns das dann  in Europa gelingen.“

      Das macht Lust auf mehr. Mehr erfährt man in Episoden aus Budapest, Hamburg, Istanbul und Paris. Die beiden Autorinnen Sedef Ecer und Dagrun Hintze haben sich die Metropolen aufgrund eigener Erfahrungen aufgeteilt. Ihnen geht es nicht so sehr um das Schicksal von Geflüchteten, sondern um den Umgang mit dem Anderen, der oder das scheinbar nicht mit den eigenen Vorstellungen kompatibel ist.

   Scheinbar. Das ist der Eindruck, der sich als roter Faden durch die Szenen zieht. Durchdekliniert an vier ganz unterschiedlichen Orten mit ganz konkreten Bezügen: das Ungarn des Victor Orban, in dem  - nicht nur - die künstlerische Freiheit unterdrückt wird. Sie sucht sich im Bahnhofscafé „under cover“ ihr Ventil. Mit einer stilisierten Fotoaktion.

  Stilisiert. So lautet wiederum das Zauberwort, mit dem die Inszenierung von Tina Brüggemann den Tritt in die Falle des Realismus vermeiden möchte. Hirn- statt Augenfutter. Wobei zur Stilisierung auch der tiefe Griff in die Klischeekiste dient: Bloß stellen um der Wahrheit Willen. Das funktioniert. Damit lässt sich leben. Zumal das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Charaktere und ihrer Vorurteile mit einer kräftigen Dosis saftigen Humors gewürzt wird. Sogar ein Wiedergänger des Hasen Harvey taucht, mal klein, mal groß, in zweifacher Gestalt auf. Als deus ex machina verwandelt er das „scheinbar nicht“ in einen Irrealis. Vernunft und Gefühl gehen dank seiner Seelenmassage plötzlich Hand in Hand.

     Tatsächlich handelt es sich um einen Puka, ein Wesen aus der keltischen Mythologie, das den Menschen in Form unterschiedlichster Tiere erscheinen kann. „Ein wohlwollender Gauner...Ein liebevolles, gottgleiches Wesen“, ja ein Glücksbringer, wie im Programmheft erklärt wird. Letztlich sorgt dieser gute Geist dafür, dass ein vom Bürgerchor etwas sperrig formuliertes Postulat in Erfüllung geht – zumindest an diesem „Samstag in Europa“: „Hoffnung ist die umfassende emotionale und unter Umständen handlungsleitende Ausrichtung des Menschen auf die Zukunft.“ 

   In diversen Rollen müssen Mirjam Birkl, Arwid Klaws, Marcus Krone, Alice Katharina Schmidt und Bernd Tauber im schmucklosen Bahnhofscafé, das Ismet Ergün eingerichtet hat, zur Gitarrenmusik von Matthias Kehrle ihr Wandlungstalent beweisen. Das funktioniert mal gut und manchmal kaum. Ein groteskes Kabinettstückchen liefern Alice Katharina Schmidt als islamophobe Hysterikerin und Arvid Klaws als ihr bis in die Haarspitzen cooler Mann im Pariser Bistro ab. Warum jedoch Marcus Krone in derselben Szene als Astrophysiker wie ein nervöser Pennäler herumhampelt, muss wohl der Regie zugeschrieben werden.

     Ohnehin hätte man Krone und die frisch von der Schauspielschule weg engagierte Mirjam Birkl in ihrem Bewegungsdrang, ihrem Sprachfluss und ihrer Neigung zum Outrieren bremsen müssen. Der alte Schauspielhase Bernd Tauber macht zwar im Harvey-Kostüm eine gute Figur; agiert jedoch ansonsten für seine Verhältnisse erstaunlich eindimensional. Und warum die Ausstatterin ihr Personal bis auf wenige Ausnahmen in mit markant geknöpften Hosenlätzen aufgemotzte Pluderhosen gesteckt hat, lässt sich vielleicht als Metabotschaft verstehen: Seht, irgendwie sind wir doch alle gleich, in Orient und Okzident.

     In der Summe geht den Episoden in der Breite des Raumes immer wieder mal die Luft aus – und der von den Autorinnen über Gebühr bemühte pädagogische Zeigefinger nach Art des Hauses steil nach oben. Deshalb fällt diese Inszenierung ebenso ambivalent aus wie der Gegenstand, dem sich das Stück widmet. Stoff zur Auseinandersetzung also in Fülle – und Grund genug, sich im Bahnhofscafé umzusehen.

                                                                                                                                                                                              John Wolf       

Info: Nächste Aufführungen am 15./22. und 29. 10., jeweils 20 Uhr im Wi.Z. An die Aufführung am 15. 10. Schließt sich eine Diskussion mit Vertretern des Städtepartnerschaftsvereins Aalen an. Karten gibt’s an der Theaterkasse im Alten Rathaus und beim Touristik-Service Aalen. Reservierungen unter (07361) 522600 und kasse@theateraalen.de                 

     

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